Er ist vielleicht nicht vom selben Geniekult umgeben wie Albrecht Dürer, doch in Sachen Selbstvermarktung und Output konnte er den Meister aus Nürnberg wohl übertreffen: Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) baute ab 1505 im deutschen Wittenberg eine Werkstatt auf, die mit Gemälden und Grafiken unsere Vorstellung der Zeit um 1500 bis heute prägt.
Durch seine Freundschaft mit Martin Luther wurde Cranach gewissermaßen zum Illustrator der Reformationszeit, seine Luther-Porträts kursieren – neben biblischen Szenen mit oftmals erotischem Unterton – in zahllosen Varianten und Originalitätsstufen.
Dass über die Ursprünge dieses Kunstunternehmers erstaunlich wenig bekannt ist, bildet nun den Ausgangspunkt einer kleinen, dichten „Kabinettausstellung“ im Kunsthistorischen Museum Wien (KHM) bis 16. Oktober.
„Indizienprozess“
Dieses verfügt – neben einer Reihe klassischer Cranach-Werke in der Gemäldegalerie – auch über Frühwerke wie die sogenannte „Schottenkreuzigung“, die das Museum aus dem Wiener Schottenstift erwarb. Vermutlich entstand das Bild um 1500, als sich Cranach in Wien aufhielt. Eindeutig belegbar ist ein solcher Aufenthalt allerdings nicht: „Es ist ein Indizienprozess“, sagt KHM-Kurator Guido Messling, der gemeinsam mit Kolleginnen jedoch eine schlüssige Annäherung an den „Wiener Cranach“ vorlegt.
Dass die Spurensuche nicht nur für jene interessant ist, die kunsthistorische Detektivarbeit zu schätzen wissen, ist den bildnerischen Qualitäten von Cranachs Frühwerk zu verdanken: Es ist generell dramatischer, drastischer und impulsiver als die spätere, routinierte Bilderproduktion – ein Umstand, der sich auch im Ausstellungstitel „Der wilde Cranach“ widerspiegelt.
Da hängt dem Jesus in der „Schottenkreuzigung“ die bluttriefende Zunge aus dem Hals, während sich weiter unten ein Hund an Menschenknochen labt und eine zombieartige Figur ins Bild ragt. Hinter dem „Heiligen Valentin“ aus der Gemäldegalerie der Wiener Akademie windet sich ein Epileptiker (man rief den Heiligen bei solchen Anfällen an). Bäume, Gewänder, aber auch Gesichter in den Bildern wirken wie vom Sturm zerzaust.
Rätselhaftes Ehepaar
Es sind aber vor allem zwei Gemälde, die im Kern der Schau stehen und die bildnerische Besonderheit als auch die Wien-Connection Cranachs hervorstreichen: Das „Ehediptychon des Dr. Johannes Cuspinian und der Anna Cuspinian-Putsch“, das seinen Stammplatz in der „Sammlung Oskar Reinhart“ in Winterthur/CH sonst kaum verlässt. Es ging aus Cranachs Verbindungen zu Wiener Humanisten-Kreisen hervor und steckt voller Rätsel und Symbole, über die Gelehrte jener Zeit wohl angeregt diskutierten.
Was soll etwa die Eule, die da über dem Doktor schwebt und mit einem zweiten Vogel zu kämpfen scheint? Sie könnte ein Symbol für den Wechsel von Tag und Nacht, vom Gejagten zum Jäger, von Ohnmacht und Macht sein, sagt Messling. Auch das „melancholische Gemüt“ des Gelehrten – das man ebenso in seinem Blick zu verspüren meint – könnte der Vogel symbolisieren. Die Entdeckungsreise geht hier erst los, das Schauen und Deuten – in Vermittlungstexten hinlänglich angeleitet – macht Freude.
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