Aufregung um den "Jedermann": Welche Rolle der schnöde Mammon spielt
2024 wird es einen neuen "Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen geben. Wer das wird, ist derzeit unklar. Klar aber ist, dass der aktuelle Jedermann, Burgschauspieler Michael Maertens, damit gerechnet hatte, auch 2024 auf der Bühne zu stehen. Dazu gibt es Verträge und Versprechungen. Doch nun wurden Maertens und Regisseur Michael Sturminger, der 2023 seine bereits dritte „Jedermann“-Inszenierung in Salzburg auf die Bühne brachte, für beide überraschend informiert, dass ihre Dienste 2024 nicht mehr gebraucht würden.
Nun steht eine Sammelklage im Raum – und die Festspiele signalisieren, dass die Inszenierung unter anderem aus kaufmännischen Überlegungen abgesetzt wurde.
➤ Mehr dazu lesen: Jedermann: Künstlerischer Neustart durch "Wortbruch"
Warum ist das ungewöhnlich?
Der „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen ist eine der bekanntesten Bühnenproduktionen überhaupt – auch weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Wer die prestigeträchtige Hauptrolle am Domplatz spielt, wird für den Rest seiner Karriere mit dieser Rolle in Verbindung gebracht. Und: Die Hauptdarsteller wurden immer für mehrere Jahre gebucht. Dass ein Darsteller nur eine Spielzeit den „Jedermann“ gibt, kam zuletzt 1946 vor. Michael Maertens hat einen Zweijahresvertrag bis inklusive 2024 und eine mündliche Zusage für zwei weitere Jahre.
Warum der Wechsel?
Mit Marina Davydova gibt es 2024 eine neue Schauspielchefin. Diese wird ihre eigene Handschrift zeigen wollen. Und obwohl der „Jedermann“ im Schauspielprogramm der Festspiele ein eigentümlicher Monolith ist, der mit dem Rest des Gebotenen meist wenig(er) zu tun hat (ähnlich wie die Eröffnung der Wiener Festwochen), ist er nun mal die theatrale Vorzeigeproduktion in Salzburg. Dass eine neue Chefin hier Ambitionen auf ein Statement hat, ist klar.
Davydova selbst führt am Montag im Standard eine "Mischung aus mehreren Punkten" an, die zur Absetzung geführt hätten - und auch kaufmännische Erwägungen hätten dabei eine Rolle gespielt.
Was meint sie damit?
Der immer ausverkaufte „Jedermann“ ist eine der Cashcows der Festspiele. Viel Begeisterung kam für die etwas sperrige und ernste 2023er-Version bei Kritikern und manchen im Publikum jedoch nicht auf. Sollte der „Jedermann“ 2024 und danach nicht ausverkauft sein, wäre das schlecht fürs Budget. Auch wenn eine Neuinszenierung Geld kostet.
Mehr lesen: Die KURIER-Kritik zum "Jedermann" 2023
Der „Jedermann“ nicht immer ausverkauft - ist das nicht undenkbar?
Auch Bayreuth war immer ausverkauft – bis heuer. Erstmals gab es 2023 bei den Wagner-Festspielen auch kurzfristig Karten sogar für den „Ring des Nibelungen“. Der war am Schluss zu 97 Prozent ausgelastet, der Rest ausverkauft – aber trotzdem haben diese Zahlen die Branche aufgeschreckt. Dass Davydova diese Überlegungen nun öffentlicht macht, verleiht der Angelegenheit noch eine weitere Facette.
Auch Davydovas Vorgängerin Bettina Hering, 2017 zugleich mit Intendant Markus Hinterhäuser angetreten, startete mit einem neuen „Jedermann“. Dies aber, weil Hauptdarsteller Cornelius Obonya zuvor angekündigt hatte, die Rolle nicht mehr spielen zu wollen. Seither wurde der „Jedermann“, zumindest konnte sich dieser Eindruck entwickeln, in Salzburg nicht immer mit übergroßer Fürsorge behandelt: Regisseur Michael Sturminger hatte das Stück gepachtet und inszenierte drei Versionen in sieben Jahren. Das einst so bedeutsame Kleid der Buhlschaft etwa spielte nur noch ironisch gebrochen eine Rolle.
➤ Mehr lesen: Moretti und Reinsperger als Jedermann und Buhlschaft
Also ist das alles eh normal?
Nein. Davydova wurde im November 2022 offiziell bestellt. Maertens’ Kür zum „Jedermann“ wurde im August 2022 im KURIER verraten, die offizielle Bekanntgabe war aber erst Anfang Dezember – also nach der Kür Davydovas, die seit 1. Oktober nun offiziell im Amt ist. Insgesamt war genug Zeit, etwaige Änderungen im Jahr 2024 zu besprechen – insbesondere mit Maertens, der einen Zweijahresvertrag (2023 und 2024) hat. Das war den Festspielen auch schon bei der Bestellung der Schauspielchefin bekannt. Intendant Markus Hinterhäuser hatte noch kurz vor den Festspielen 2023 bestritten, dass Davydova einen neuen „Jedermann“ besetzen wollte.
Was heißt das dann?
Davydova habe noch im Sommer gesagt, dass die Inszenierung bis 2026 laufen solle, sagte Regisseur Michael Sturminger. Und das wiederum legt andere Gründe nahe als die genannten. Denkbar wäre etwa, dass die Festspiele mit der Inszenierung von Michael Sturminger oder mit der Darbietung Maertens’ unzufrieden waren, was man diesen aber offenbar nicht kommuniziert hatte. Und dazu kommt noch der finanzielle Faktor.
Was passiert jetzt?
Wie mit den bestehenden Verträgen für 2024 nun weiter umgegangen wird, sei eine „Frage der Juristen“, sagte Regisseur Michael Sturminger. Im Ö1-Mittagsjournal sagte Sturminger, dass das alte Team nun eine Sammelklage überlege. Er halte sich nicht für unersetzbar, erklärte Regisseur Michael Sturminger dort. „Es geht mir nur um die Umstände, wie das geschehen ist. Es ist mir fast zu viel brutale Machtausübung, muss ich sagen.“ Zugleich zeigte er sich, ebenso wie Maertens, über den Umgang der Festspiele mit der Situation enttäuscht: Es habe keine Gespräche gegegeben, Davydova habe sie umittelbar über ihre Absetzung informiert, nachdem es zuvor keinerlei Anzeichen dafür gegeben hatte bzw. das Gegenteil kommuniziert worden war. Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser verteidigte im Ö1-Abendjournal die Vorgangsweise. Unmittelbar nach der Entscheidung habe man Sturminger und „Jedermann“-Darsteller Michael Maertens angerufen und ihnen diese mitgeteilt. Anschließend sei ein E-Mail an alle Ensemblemitglieder verfasst worden mit der Ankündigung, sich mit jedem persönlich in Verbindung zu setzen. „Das ist per se jetzt nicht der schlechteste Stil“, so Hinterhäuser. „Das ist keine frivole Entscheidung“, meinte er auch gegenüber der dpa. Man werde die vertraglichen Vereinbarungen gegenüber Maertens und dem Rest des Teams korrekt abwickeln.
Werden Verträge nicht öfters aufgelöst?
Jein. Natürlich ist eine berufliche Entzweiung, auf Grund derer man sich voneinander trennt, in allen Bereichen Alltag. Dennoch ist das Verhältnis von weltweit renommierten Festspielen zu den Künstlern ein anderes als bei anderen Arbeitgebern: Für die Künstler ist es großes Renomee, in Salzburg aufzutreten, die Festspiele wiederum wären nichts ohne ihre Künstler. Dass ein „Jedermann“ so ansatzlos ausgeladen wird, ist in diesem besonderen Verhältnis zumindest außergewöhnlich. Die wichtige Vertrauensbasis zu den Festspielen als Kultur-Festival könnte darunter leiden.
Welche Rolle spielt der Faktor Mensch?
Sturminger übt unverhohlen Kritik: „Offenbar sind im Direktorium der Salzburger Festspiele in den letzten Jahren wichtige Instanzen verloren gegangen“, sagte er. 2022 wurde Langzeitpräsidentin Helga Rabl-Stadler, die zu Künstlern und Sponsoren eine unnachahmliche Beziehung aufgebaut hat, als Festspielpräsidentin von Kristina Hammer abgelöst. Berichte, dass es innerhalb des Direktoriums Spannungen gäbe, wurden dementiert. Die Festspiele haben für die nahe Zukunft eine offizielle Information zu der Causa, die am Montag einige Titelseiten der Zeitungen bestimme, angekündigt. Dann wird auch klar sein, ob ein Imageschaden für die Festspiele übrig bleiben wird.
Kommentare