Jedermann-Regisseur: "Wortbruch" vor künstlerischem Neustart

Michael Maertens als "Jedermann" ist mit einem Zweijahresvertrag ausgestattet. Das Ensemble hat üblicherweise jeweils Verträge für eine Saison
Fast eine Woche ist vergangen, seit das Direktorium der Salzburger Festspiele gemeinsam mit der neuen Schauspieldirektorin Marina Davydova die Entscheidung getroffen hat, die ursprünglich für 2024 geplante Wiederaufnahme des „Jedermann“ durch eine Neuinszenierung zu ersetzen. Nun gibt es erstmals eine offizielle Darlegung der Sicht. Der Schritt sei notwendig gewesen, „um einen künstlerischen Neustart zu ermöglichen“, ließen die Festspiele am Dienstag per Aussendung verlauten. Diese Entscheidung sei den Entscheidungsträgern „alles andere als leicht“ gefallen. Der Beschluss sei „nach eingehenden, sehr intensiven Besprechungen und einer profunden Analyse künstlerischer wie auch kaufmännischer und interner Aspekte“ gefallen.
Am Montag hatte Intendant Markus Hinterhäuser Stellung genommen. Nach sieben Jahren der Inszenierungen Michael Sturmingers sei es „doch nichts Unanständiges, zu sagen, jetzt ist diese Sichtweise irgendwie bewältigt“, erklärte er im ORF-„Kulturmontag“.
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Markus Hinterhäuser
Ganz anders sieht das nach wie vor der Regisseur, der zuletzt „brutale Machtausübung“ ortete. „Was Markus Hinterhäuser jetzt macht, das hat es ja noch nie gegeben. Er tut so, als wäre das ein ganz normaler Vorgang“, sagt Michael Sturminger im Gespräch mit dem KURIER. „Jeder hat ein Recht auf seine Meinung und widersprüchliche Meinungen und Kritiken gab es auch in den Jahren davor“, kommentiert er Aussagen Davydovas, dass u. a. schlechte Kritiken ausschlaggebend gewesen seien. „Aber wenn man eine Abmachung trifft und sagt, das machen wir für zwei Jahre, dann liegt ein Wortbruch vor. Wenn die Festspiele sagen, bei jedem Ensemblemitglied ist das eine eigene Frage, dann sage ich: Es gab im Sommer ein eMail, in dem die Schauspieldirektion das gesamte Ensemble eingeladen hat, nächstes Jahr wiederzukommen.“
In diesem Mail vom 19. Juni, das dem KURIER vorliegt, heißt es: „Im Namen der designierten Schauspieldirektorin, Marina Davydova, möchte ich euch offiziell mitteilen, dass wir das gesamte Jedermann-Ensemble für eure jeweiligen Rollen für den Festspielsommer 2024 verpflichten möchten.“
Während Michael Maertens als "Jedermann" mit einem Zweijahresvertrag ausgestattet ist, haben Ensemble-Mitglieder üblicherweise jeweils Verträge für eine Saison.

Michael Sturminger sieht sich als Kämpfer für sein Ensemble
Sturminger sieht auch in der Argumentation des Direktoriums „einen Stilbruch“. Von einer Seite würden ihm gegenüber finanzielle Gründe angeführt, von anderer Seite wiederum ausschließlich künstlerische Gründe. „Weil natürlich keiner schuld sein will“, sagt er. Schauspielchefin Davydova sieht er dabei weniger in der Ziehung. „Als ich sie im Mai zum ersten Mal getroffen habe, war klar, dass unser Jedermann für zwei Jahre fix ist, und dass der Jedermann zunächst nicht in ihrem Verantwortungsbereich liegt.“
Handlungsbedarf
Was die Planungen mit Hinterhäuser betrifft, sagt Sturminger jedoch: „Es gab eine felsenfeste Abmachung. Nachdem wir wussten, dass Lars Eidinger kein drittes Jahr spielt – das war Anfang 2022 –, und auch Bettina Hering nur mehr bis zum Jahr 2023 als Schauspielchefin bleibt, war klar, dass Handlungsbedarf besteht. Aber es war auch klar, dass man einen Darsteller nicht fragen kann, ob er nur ein Jahr Jedermann sein will. Das wäre sozusagen ein Lückenbüßer.“
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Für ein Jahr hätte er auch keine Neuinszenierung gemacht, sagt er. „Markus Hinterhäuser hat uns felsenfest zugesagt, dass das für zwei Jahre fix ist – wie er noch im Sommer öffentlich gesagt hat: ,Darüber reden wir gar nicht.‛ Und jetzt hat er offenbar beschlossen: Wir müssen doch eine neue Duftnote setzen.“
Erste Reaktionen auf abgesetzten Jedermann
"Nicht der schlechteste Stil"
Die Vorgangsweise, Maertens und Sturminger telefonisch zu informieren (durch Davydova) und dann ein Mail ans gesamte Ensemble zu versenden, mit der Aussicht auf persönliche Gespräche, sei „nicht der schlechteste Stil“, sagte Hinterhäuser im ORF.
Dadurch, dass die Festspiele dieser Verständigung kein Pressestatement folgen ließen, fand die Meldung vergangenen Freitag unkontrolliert ihren Weg in die Medien. „Wenn man 50 Leuten eine Absage schickt, ist klar, dass sich das selbstständig macht“, sagt Sturminger. „So führt man keine riesige Kulturinstitution. Es ist wahnsinnig unfair uns gegenüber, nach sieben Jahren auf die schäbigste Art vor die Tür gesetzt zu werden. Ich werde mir da etwas überlegen, denn das ist auch rufschädigend, was hier passiert. Wenn Wortbruch laut Hinterhäuser nicht der schlechteste Stil sein soll, will ich nicht wissen, was er stilistisch sonst noch zu bieten hat.“
Für das Ensemble lässt er nun eine Sammelklage prüfen – der Regisseur berichtet von vielen entgeisterten Stimmen aus der Jedermann-Truppe. Ob es wirklich dazu kommt? „Das wird von verschiedenen Entwicklungen abhängen“, sagt Sturminger. „Aber die Arbeitsrechtler sagen uns: Es schaut gut aus.“
Kann es sein, dass die vermögende Klientel, die mit dem X7 durch den Großstadtdschungel pflügt, nicht auch noch bei den Festspielen mit Klimaklebern und „Eat the rich“-Gelüsten behelligt werden will? Dass der Intendant daher seiner neuen Theaterchefin die Absetzung der „Jedermann“-Produktion aufgetragen hat?
Keine Frage: Allein der „Jedermann“ sorgt pro Sommer für vier Millionen Euro Umsatz. Gut, einmal (die Wiederaufnahme 2024 war vertraglich fixiert) hätte man ihn ja noch mitschleppen können: Selbst eine Auslastung von nur 80 Prozent käme billiger als eine Neuinszenierung. Aber wenn der „Jedermann“ nicht mehr zur Pflicht gehört, droht langfristig massiver Schaden. Und der diesjährige „Jedermann“ gehörte definitiv nicht zum Pflichtprogramm.
Er war fast ein Sabotageakt: Die Mauer vor Jedermanns Haus verdeckte die Sicht auf den Dom zur Gänze. War man tatsächlich in Salzburg? Und noch viel entscheidender: Der Intendant hatte argumentiert, dass sich die Festspiele nicht in die Niederungen der Tagespolitik begeben würden – und dann bot Michael Sturminger banalen Tagespolitik-Kommentar.
Aber natürlich trägt der Intendant Mitschuld. Er hätte noch vor der Premiere sagen müssen: „Diese Inszenierung spiegelt meine Intentionen nicht wider.“ Dass er nun Michael Maertens und das Ensemble über die Klinge springen lässt, ist erbärmlich. Ein „Hire & fire“ hat sich niemand verdient.
Thomas Trenkler
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