Anke Engelke: "Wien pumpt meine Batterien so dermaßen voll"
Die Liste an Projekten von Anke Engelke ist lang: Von TV-Auftritten bei "Wer stiehlt mir die Show?" über den Comedy-Megaerfolg "LOL - Last One Laughing" auf Prime Video bis zur Netflix-Serie "Das letzte Wort". Dennoch fand sie Zeit für die abgründige Kinokomödie "Der Onkel - The Hawk" von Michael Ostrowski und Helmut Köpping. Die Rolle der Gloria, die ihren schrägen Schwager Mike bei sich aufnimmt, während ihr Mann Sandro im Koma liegt, ist ihre erste Hauptrolle in einem österreichischen Kinofilm.
KURIER: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie jetzt eine tragende Rolle in einem österreichischen Film spielen?
Anke Engelke: Wir haben vor einigen Jahren gemeinsam für „Tödliche Geheimnisse“ in Südafrika gedreht. Michael hat keine riesige Rolle gespielt, aber er hat wirklich Eindruck hinterlassen. Er war unglaublich gut vorbereitet, war wirklich im Thema und wir steckten mit dem Drehbuch gerade in einer kleinen Sackgasse. Mit seinem Input haben wir den Dialog umgeschrieben: er war der Retter. Zwei Jahre später habe ich ihn bei einer Empfangsparty auf der Berlinale wiedergetroffen, bin auf ihn zugelaufen mit dem Ausruf: Ah, mein Retter! Wirklich im doppelten Sinne: Auf diesen Parties ist das manchmal so seltsam, die Menschen dort sind oft nicht wirklich an Gesprächen interessiert und dann steht man viel doof herum. Er sagte: Wir würden dich so gerne als Gloria haben. Meine Agentur hatte aber bei der ersten Anfrage absagen müssen, weil es zeitlich nicht passte. Ich dachte, vielleicht kriegen wir das ja zu einem späteren Termin noch hin, habe die neueste Drehbuchfassung gelesen und gemerkt, dass ich Gloria unbedingt spielen möchte. Dann haben wir doch ein Zeitfenster gefunden. Es war so schön, nach „Gespensterjäger“ wieder in Wien zu drehen. Ich finde “ONKEL“ wirklich außergewöhnlich und toll.
War das auch kompliziert, weil es in der ersten Coronazeit war?
Ich hatte nicht den Eindruck, dass das unangenehme Dreharbeiten waren wegen der Pandemie. Ganz im Gegenteil. Man kann so ein Set ja viel besser kontrollieren als zB eine Familie oder eine Gruppe von Freund:innen. So war das halt damals: Vor den Dreharbeiten geht man in Quarantäne, wird jeden Tag getestet und macht zwischendurch auch PCR Tests. Das ist eigentlich ein sehr gutes Arbeiten in so einer Blase. Ich fühlte mich da auch sehr privilegiert, denn viele konnten in der Zeit ja nicht regulär arbeiten.
Was hat Sie an der Rolle der Gloria so gereizt?
Das ist eine zerrissene Figur, die offensichtlich verbirgt, was ihr fehlt und welche Entscheidungen sie bereut. Gloria hat sich zum Beispiel für Sandro entschieden und gegen Mike. Sie hat sich für Kinder entschieden und gegen eine Karriere, vielleicht als Sängerin. Ich finde Figuren interessant, die rätselhaft sind und Geheimnisse haben.
Es gibt auch Entwicklungen in den Figuren.
Richtig, Figuren, die sich in einer Geschichte auch bewegen, wo von außen Einflüsse kommen. Man merkt, die bleiben davon nicht unberührt. Es öffnen sich Gedankenfenster, auch emotionale Fenster. Dadurch, dass ihr Mann im Koma liegt, sie allein zu Hause ist. dadurch, dass die Kinder so extrem pubertieren, dadurch, dass Mike plötzlich auftaucht, stellt sie ganz vieles in Frage und diese Zerrissenheit sieht man im Film auch.
Sie haben auch selbst einen Schlager eingesungen, mit einer speziellen Technik?
Es geht ja um eine Kassette, die Mike jahrelang bei sich hatte, mindestens 17 Jahre. Also musste ihre Stimme da auf dieser alten Kassette ein bisschen jünger klingen. Der fantastische Produzent Zebo Adam hat mir bei der Aufnahme wunderbar geholfen. Ich kannte ihn schon, weil ich Bilderbuch-Fan bin. Gleich dort, wo wir gedreht haben, hat er ein improvisiertes Tonstudio gebaut und er hat mich so gut durch die Aufnahme gelotst. Er hat gesagt: "Du musst versuchen, mindestens 17 Jahre jünger zu klingen". Das war gar nicht so leicht, weil ich schon eine relativ jung klingende Stimme habe, aber das haben wir dann ganz gut hingekriegt. Damit es auch einen Kontrast gibt zwischen der noch nicht so erfahrenen, noch nicht so von Konflikten und von Kummer gezeichneten Gloria-Stimme. Es war auch ein Gedankenexperiment. Ich habe mir irgendwie vorgestellt, ich wäre ganz jung und unerfahren.
Conchita Wurst hat auch ein Lied eingesungen, von Udo Jürgens.
Das ist natürlich ein Jahrhundertsong. Conchita ist ein Juwel. Sie hat diesen Klassiker ganz toll und gefühlvoll interpretiert, das macht einfach Gänsehaut.
Man hat den Eindruck, dass es Ihnen sehr gefallen hat, in Österreich zu arbeiten.
Unglaublich. Ich habe mich selten so wohlgefühlt.
Haben Sie Lust auf mehr bekommen?
Absolut, ich bin ja auch schnell hier mit dem Nachtzug aus Köln. Das geht fix. Also, wenn was ist: Ich komme sofort. Ich war gestern mit Michi bei „Willkommen Österreich“. So was hab‘ ich ja noch nie erlebt. So eine Show gibt es in Deutschland nicht, wie eine Rumpelkiste irgendwie. Wie Stermann und Grissemann auch miteinander umgehen, das ist ja unfassbar, so gemein, aber auch total klasse. Man ist dann selber ganz schnell auch angesteckt davon und ist dann plötzlich außer Rand und Band. Das wird im Fernsehen wahrscheinlich so ausgesehen haben, als wären wir völlig unzurechnungsfähig. Aber es hat so eine Fröhlichkeit, die ich im Fernsehen auch immer ganz toll finde. Hoffentlich ist sie ansteckend. Das Publikum war auch ganz toll! Nach der Show habe ich mich auch mit den Synchronkollegen von maschek ausgetauscht. Es ist schön, zu merken, dass es im Humor ganz viele Verbindungen und Ähnlichkeiten gibt, aber auch ganz viele Diskrepanzen.
Was sind nun die Unterschiede zum österreichischen Humor?
Ich werde das immer wieder gefragt, aber ich habe noch immer keine Antwort. Ich kann da nur spekulieren, weil ich auch gar keine klassische Komikerin bin. Ich habe ja kein Stand-Up-Programm, stehe nie allein auf der Bühne. Ich bin ein Teamplayer und dadurch auch keine Expertin in Sachen Solo-Comedy. Ich kann nur sagen, was ich beobachte. Und wenn ich mir zum Beispiel Christoph und Dirk ansehe, die waren zwischendurch so unfassbar respektlos und gemein zu einander, aber beim Abschied haben sie sich unglaublich herzlich umarmt und geküsst. Da machte es bei mir ‚Klick‘. Die haben sich während der Aufzeichnung richtig angeraunzt, ernsthaft gestritten. Aber ich habe geahnt, dass die sich im Grunde schätzen. Und dann gefällt mir Humor, und das erlebe ich hier in Österreich, anders als in Deutschland. Umgelegt auf Comedy würde das bedeuten: Wir können, dürfen, müssen unverschämt sein, wenn wir auch ganz klar durchscheinen lassen, dass wir einander wertschätzen und respektieren.
Sie haben ja in Ihrer Karriere auch unverschämte Sachen gemacht …
Von einigen Sachen, die ich früher gemacht habe, etwa bei „Ladykracher“ distanziere ich mich durchaus. Weil man das heute nicht mehr so machen kann. Zum Beispiel alles, was mit Blackfacing oder Yellowfacing zu tun hat, würde ich nicht mehr machen.
Sachen wie „Der Deutschkurs“ aber schon. Oder?
Das würde ich genauso wieder machen. Der zeigt ja, wie stumpf und dumm viele Deutsche sind. Diese Rechnung geht ja durchaus auf. Das kann man auch nicht missverstehen. Wer das nicht versteht, hat vermutlich fundamentale Probleme. (lacht) Rassismus, Homophobie. Misogynie - das sind ja alles strukturelle Probleme und die merkt man dem Gegenüber sofort an. Wenn jemand sich ungewöhnlich laut beschwert, wird relativ schnell klar, warum. Dann liegt da ja was vor. Die Sachen, von denen ich mich heute distanziere, waren nie gedacht als Kritik, aber heute könnte man sie missverstehen. Und diesem Missverständnis möchte ich diese Arbeit nicht ausliefern. Viele engagierte, empathische und demokratisch denkende Menschen haben sich zu solchen Phänomenen Gedanken gemacht, aber es gibt immer Idioten, die das falsch verstehen könnten und denen sollte man keinen Raum gewähren. Es gibt aber auch Idiotinnen, man darf nicht denken, dass das nur Männer sind.
Wie war es mit Michi Ostrowski, dieses Paar zu spielen? Also eher mit Mike, weniger mit Sandro.
Das wäre aber auch eine gute Frage. Ob es mir mit Sandro lieber gewesen wäre? Man weiß im Film ja gar nicht, wie Sandro ist. Man kann es ja nur vermuten. Also Schauspielerei ist ja immer Tennis, weil man ja immer schauen muss, von wo kommt der Ball und wie gebe ich den zurück? Gebe ich den scharf zurück oder ganz fair? Gebe ich den ganz lasch zurück, dass das Gegenüber den Ball bestimmt bekommt? Oder haue ich den so richtig weit weg, raus aus dem Spielfeld? Ändere ich das Spiel?
Ostrowski war in diesem Fall auch Schiedsrichter …
Der war Schiedsrichter und Linienrichter, Sie haben Recht. Und das Team? Wer sind dann die Balljungen und die Ballmädchen? Okay, nein. (lacht) Und bei Michi muss man da ganz besonders auf der Hut sein, weil er so gut Tennis spielt. Der spielt so ein unberechenbares Tennis. Auf der anderen Seite ist er so professionell, dass man weiß: Der wird den Ball nicht raushauen. Aber ich kriege jeden Ball, weil er immer dafür sorgen wird, dass ich die Bälle kriege. Aber es gibt auch schnelle Ballwechsel und das macht total Spaß. Dann bleibt man wach und schlafft nicht so ab. Es gibt auch Dreharbeiten, bei denen man denkt: Ach, heute habe ich nur die Szenen, wo ich in den Fahrstuhl reingehe und rausgehe. Da muss man echt schauen, dass man in der Spannung bleibt, dass man nicht unterspannt spielt.
Die Kollegen haben erzählt, dass Sie am Dreh immer wieder in der Zeitung gelesen haben oder etwas Anderes gemacht haben. Und dann waren sie aber wieder voll da.
Ich habe gemerkt, dass am Set oft so ein Rummel ist, dass ich mich zwischendurch komplett herausziehen muss. Mir hilft es manchmal, einfach einen oder zwei Artikel in der Süddeutschen zu lesen. Und dann heißt es: Anke, In fünf Minuten geht's weiter und dann groove ich mich wieder ein und bin wieder da. Aber ich kann auch zwischendurch auch mal Gespräche führen und Quatsch machen. Das ist mir auch sehr wichtig, dass man auch fürs restliche Team dafür sorgt, dass das ein guter Tag ist und dass sie nach Hause gehen und sagen: Es war anstrengend, aber ich kann drei Geschichten erzählen, die passiert sind. Zum Beispiel das: „Die Engelke musste dem Ostrowski eine knallen und die hat schon vorher gesagt: Sie kann das nicht, weil sie dann lachen muss. Und dann hat sie ihm eine geknallt und dann ist sie zusammengebrochen und flach auf den Boden gefallen, weil sie so lachen musste, weil es so lustig war. Dann mussten wir alle noch mal ein bisschen länger warten und die Wange von Ostrowski wurde immer roter und roter, aber sie hat es nicht hingekriegt, weil sie es so lustig fand. Aber es war gar nicht so schlimm. Aber deswegen bin ich jetzt übrigens eine halbe Stunde zu spät zu Hause. Entschuldigt.“ Ich möchte gerne, dass das ganze Team eine Freude dabei hat und es nicht so ein Zwei- Klassen-Denken gibt. Die einen machen Spökes – ein Kölscher Ausdruck – und die anderen sollen ihre Arbeit machen dürfen.
Es ist eine Komödie, die auch ihre tragischen Momente hat. Hat Sie das auch gereizt?
Mal überlegen: Wonach suche ich eigentlich bei der Rollenauswahl? Im Kino läuft gerade „Eingeschlossene Gesellschaft“ von Sönke Wortmann. Ich spiele dort eine sehr frustrierte, zynische, boshafte Lehrerin Mitte 60. Kostüm und Maske haben da Großes geleistet. Die Rolle hat mit Gloria aber wenig zu tun. Dann zum Beispiel „Das letzte Wort“, die Netflix-Serie. Da haben wir eine trauernde Frau, die ihren Mann verloren hat und Trauerrednerin wird - fast unfreiwillig, und dann doch mit Leidenschaft. Das ist eine Suchende. Da gäbe es eine Parallele, denn ich glaube, dass Gloria auch nicht damit klarkommt, dass ihr Mann Sandro im Koma liegt. Ich kann aber nicht sagen, ob ich bewusst nach Stoffen suche, wo es eine Symbiose aus Drama und Komödie gibt. Weil ich glaube, dass es im Drama immer auch die Komödie gibt und in der Komödie auch immer das Drama. Es gibt zwar auch Dramen, wo es bei denen es gar nichts zu lachen gibt, aber sehr oft sind dramatische Situationen, wie wir sie im Alltag kennen, auch ein bisschen lustig. Und ganz oft lacht man über etwas und merkt: Oh, jetzt bleibt mir aber doch das Lachen im Hals stecken. Insofern würde ich das gar nicht so streng voneinander abgrenzen.
Und im Comedy-Bereich?
Bei meiner Sketch-Reihe „Ladykracher“ zum Beispiel, habe ich die Figuren immer so dermaßen ernst genommen, aber das waren natürlich Sketche, über die gelacht wurde. Aber ich habe ja nicht, während ich spielte, alles verulkt oder ein Hinkebein nachgezogen. Ich habe ganz viele ganz normale, oder scheinbar normale Frauen gespielt, über die man dadurch lacht, egal ob sie gewöhnlich sind, außergewöhnlich, normal, verschroben. Man lacht über ihr Verhalten und nicht über das Äußere oder über ihren sozialen Status. Das ist mir ganz wichtig. Über Verhalten kann man lachen, aber nicht über Menschen.
Sprechen wir noch übers nicht lachen. Sie haben gesagt, dass Sie bei der nächsten „LOL“-Staffel nicht unbedingt dabei sein wollen.
Also, ich liebe das Format total. Aber ich finde, man muss dann auch einmal Platz machen für andere. Und es können immer wieder neue Leute dazukommen. Ich finde auch toll, dass das Format das zulässt, dass man immer wieder überrascht wird.
Wie lautet Ihre Bilanz nach drei Staffeln? Haben Sie über Humor etwas dazugelernt?
Ja, aber ich bin mit der Analyse noch gar nicht fertig. Vielleicht lernt man Menschen auch besser kennen, wenn man sie in so einer geschützten Blase erlebt. Und Leute in Extremsituationen zu erleben und zu schauen, "wie gehen die mit Stress um?“: das finde ich interessant! Das ist auch bei „LOL“ so, das ist bei solchen außergewöhnlichen Dreharbeiten so, und ich bin dafür einfach dankbar. Und das gleicht dann auch ein bisschen aus, dass es der Welt gerade nicht gut geht oder dass man mal ein bisschen unzufrieden ist mit sich selber. Da bin ich dann so dankbar für die Momente, in denen ich auftanken kann. Bei „LOL“: Die Batterien komplett vollgemacht. Bei den Dreharbeiten zum „Onkel“: Batterie voll gemacht. Die Stadt Wien pumpt meine Batterien so dermaßen voll, man kann hier so gut vegan essen gehen. Man kann in Museen gehen, man kann auch so gut durch die Gegend laufen, es gibt so viel Grün. Wien ist echt super, auch das Zusammensein gestern bei „Willkommen Österreich“. Ich bin ja nicht so eine Partymaus, aber das sind echt Sachen, die ich mitnehme und dankbar bin, dass ich so viele tolle Projekte machen darf und immer dazulernen darf. Und dann, wenn ich wieder nach Hause fahre, gibt es erst mal ein paar Tage Family, Friends und nur kochen, backen, spielen.
Und wie war es in der geschützten Blase beim „Onkel“-Dreh?
Ich habe auch Michael jetzt anders kennengelernt. Der hat ja auch eine Triple hingelegt, als Autor, Ko-Regisseur und Hauptdarsteller - ach ja, und sogar als Vater, seine pubertierenden Kinder haben mitgespielt, die wunderbare Elisea und der reizende Maris. Da fragt man sich doch: Würden Sie sich gerne von ihrer Familie ständig bei der Arbeit beobachten lassen? Das finde ich ganz schön mutig. Ich meine, Maris und Elisea haben vorher noch nie gespielt und ihr Vater musste sie inszenieren. Ich musste auch Elisea im Film eine Ohrfeige geben! Und Maris spielt im Film mit einer Waffe rum. Es geht um Drogen, um Sex. Das kann Pubertierende ja auch nachhaltig verstören. Die sind ja sowieso völlig verstrahlt. Und dann sehen sie ihren Vater, wie sich der auch seelisch entblößt. Das finde ich mutig und wunderschön zugleich.
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