Sex, Drugs und Schlagermusik: Anke Engelke über "Der Onkel"
"Das ist alles dermaßen wahnsinnig, dass es auch schon wieder wurscht ist“, sagt der titelgebende Onkel Mike im neuen Kinofilm von Michael Ostrowski und Helmut Köpping.
Den Wahnsinn bringt hier Mike (gespielt von Ostrowski) ins Haus von Gloria, der Frau seines Bruders Sandro. Er schlägt sich als Falschspieler und Tagedieb durchs Leben. Nachdem er davon erfährt, dass Sandro (ebenfalls Ostrowski), ein erfolgreicher Immobilienanwalt, ins Koma gefallen ist, trifft er nach 17 Jahren Gloria wieder. Er nistet sich in ihrer Familie ein.
„Mike ist ein Instinktspieler“, sagt Ko-Regisseur Köpping, „er agiert oft, bevor er denkt, wenn er eine Chance sieht. Zunächst hat er hier einen Plan, aber dann gibt es auch etwas, das ihn erschüttert, und das ist die Begegnung mit dieser Frau. Sonst wäre es eine reine Abräumgeschichte geworden.“
Schlüssel
Für die Rolle der Gloria konnten sie Comedy- und Schauspielstar Anke Engelke gewinnen. „Anke war für uns der Schlüssel für diesen Film“, sagt Ostrowski. „Wenn du diesem Onkel keine superstarke Partnerin gegenüberstellst, die ernst und lustig sein kann, dann funktioniert der ganze Film nicht. Es braucht mehr als eine gute Schauspielerin – eine starke Persönlichkeit.“
Engelke beschreibt ihre Rolle im Interview als „zerrissene Figur, die verbirgt, was ihr fehlt. Gloria hat sich für Sandro entschieden und gegen Mike. Sie hat sich für Kinder entschieden und gegen Karriere, vielleicht als Sängerin. Ich finde Figuren interessant, die rätselhaft sind und Geheimnisse haben.“
Um ihr Vertrauen wiederzugewinnen, legt Mike im Film eine alte Musikkassette ein und spielt ihr „Über den Berg ist mein Liebster gezogen“ vor, ein melancholischer Schlager nach einer finnischen Volksweise. Hier sang aber nicht Bettina Wegner, sondern Engelke selbst.
Die Aufgabe, die ihr der für den Soundtrack verantwortliche Musikproduzent Zebo Adam (u.a. Bilderbuch) gestellt habe: „Du musst versuchen, 17 Jahre jünger zu klingen.“ „Das war gar nicht so leicht, weil ich schon eine relativ jung klingende Stimme habe,“ sagt Engelke. „Es war auch ein Gedankenexperiment. Ich habe mir irgendwie vorgestellt, ich wäre ganz jung und unerfahren.“
Auch der Udo-Jürgens-Klassiker „Ich weiß, was ich will“ wurde von Adam neu aufgenommen, allerdings mit der Stimme von Tom Neuwirth aka Conchita.
Adam war Engelke bereits bekannt, „weil ich Bilderbuch-Fan bin“, sagt sie. Überhaupt fand sie die Arbeit in Österreich „unglaublich, ich habe mich selten so wohlgefühlt“.
Das betraf nicht nur die Dreharbeiten im Pandemiesommer 2020, sondern auch Erlebnisse wie aktuell der Besuch bei „Willkommen Österreich“. Engelke: „So eine Show gibt es in Deutschland nicht, wie eine Rumpelkiste irgendwie. Wie Stermann und Grissemann miteinander umgehen, das ist ja unfassbar, so gemein, aber auch total klasse. Man ist selber ganz schnell angesteckt davon und plötzlich außer Rand und Band.“
Auszucken
Umwerfende „Freak out“-Momente gibt es auch im Film – wenn Mike etwa den argwöhnischen Nachbarn (Simon Schwarz als Polizist) in einer Mau-Mau-Kartenpartie zum Auszucken bringt. Ostrowski: „Es geht plötzlich bis aufs Blut: ’Wennst verlierst, bist’ weg.’ Wir bauen ihn hier zum Hauptgegner auf – und am Schluss wird er zum Lebensretter. Wir wollen in jeder Szene eine Form von Umkehrung erreichen. Dass etwas passiert, das du nicht erwartest.“
Die mitunter klamaukhafte Komödie steht in der Tradition der „Sex, Drugs & Rock 'n' Roll“-Trilogie Michael Glawoggers, welche die beiden Steirer nach dessen Tod mit „Hotel Rock ’n’ Roll“ 2016 zu Ende führten. Schon Glawogger brachte mit Detlev Buck einen Deutschen in die von Ostrowski angeführte hippe heimische Schauspieler-Bubble. „Das ist schon eine Glawogger-Spur, die wir auf unsere Art weiterverfolgen wollen, dieser Spirit war wichtig für uns“, sagt Köpping.
Nun wurde erneut ein feiner Cast zusammengestellt: In weiteren Rollen sind Hilde Dalik (als Nachbarsgattin), Lisa-Lena Tritscher (als kooperative Kellnerin), Gerhard Polt (als korrupter Gutachter) und Mechthild Großmann (die Staatsanwältin aus „Tatort“ Münster) zu sehen.
Aus der Sicht Ostrowskis geht es im Film um Gier, „einerseits um Gier nach Leben, Feuer, Lust – verkörpert durch den Onkel; aber auch um Gier nach Geld, Besitz – verkörpert durch Sandro. Das sind zwei Welten. Beide sind aber kriminell auf ihre Art.“
Schmiergeld
Bald dringen übel riechende Blasen an die Oberfläche. Sandro war daran beteiligt, ein idyllisches Seegrundstück umzuwidmen, um ein Mega-Bauprojekt durchzudrücken. Das Schmiergeld liegt noch auf einem Konto namens Stefanie – eine Reminiszenz an das „Konto Natalie“ im realen Buwog-Prozess übrigens.
Die „typische Korruptionsgeschichte“ im Film basiere „auf vielen realen Geschichten, die irgendwo in einer Gemeinde passieren“, meint Ostrowski. Auch Gerhard Polt habe befunden: „So sind die Leut’. Bissl bestechen, ein bissl teilhaben.“
Als Glorias Kinder legen Maris und Elisea Ostrowski Talentproben ab. Engelke erzählt: „Die beiden hatten noch nie gespielt und ihr Vater inszenierte sie als Ko-Regisseur. Es geht um Drogen, um Sex. Das kann Pubertierende ja nachhaltig verstören. Und dann sehen sie ihren Vater, wie sich der auch seelisch entblößt. Das finde ich mutig und wunderschön zugleich.“
Generell sei sie „dankbar für Momente, in denen ich auftanken kann“. Das können Projekte wie die Comedy-Serie „LOL“ sein, oder eben der „Onkel“-Dreh. „Die Stadt Wien pumpt meine Batterien so dermaßen voll“, sagt sie.
Also Lust auf mehr?
Engelke sagt: „Absolut, ich bin auch schnell hier mit dem Nachtzug aus Köln. Also, wenn was ist: Ich komme sofort.“
KURIER: Michael Ostrowski, Sie arbeiten viel in Deutschland, Helmut Köpping, Sie sind künstlerisch noch in Graz verwurzelt. Wie fühlt es sich dann an, wenn man wieder ein gemeinsames Projekt wie den „Onkel“ stemmt?
Helmut Köpping: Wir sind uns immer wieder begegnet in den letzten 30 Jahren, diese gemeinsamen Projekte verbinden uns nach wie vor. Es geht dann sehr schnell, dass wir auf einer ähnlichen Wellenlänge schwingen.
Michael Ostrowski: Finde ich auch. Uns verbindet eine gewisse Grundhaltung bis heute, wo man nicht darüber reden muss, was wir lustig finden, was uns taugt.
Wie hat sich der Humor seit „Kotsch“ entwickelt?
Köpping: Gewisse Themen sind bei uns immer präsent. Uns interessiert immer eine Nähe des Tragischen zum Komischen, und auch das Abgründige.
Ostrowski: Auch bei „Kotsch“ gab es schon melancholische Momente.
Beim „Onkel“ schwelt im Hintergrund immer die Tragik, weil Sandro im Koma liegt. Wen haben Sie lieber gespielt, den Sandro oder den Mike?
Ostrowski: Textlich war mir der Sandro lieber, weil weniger zum Lernen war. (lacht) Aber es war nicht so leicht, einfach nur im Bett zu liegen und nix zu tun über Stunden. Ich hab‘ einfach die Augen zugemacht und mich darauf verlassen, dass alles passt. Es war fast eine zenbuddhistische Übung für mich. (lacht)
Dabei hatten sie recht viel zu tun bei dieser Produktion. Wie war diese spezielle Konstellation eines Regiedoppels und einer Doppelrolle für Sie unter einen Hut zu bringen?
Ostrowski: Wir kannten das schon von „Hotel Rock’n Roll“, nur hat Helmut diesmal nicht gespielt, was für mich gut war, weil er doch mehr auf das Ganze schauen konnte.
Sie wollten nicht einmal einen Cameo-Auftritt machen?
Köpping: Diese Frage hat sich gar nicht so gestellt, weil wir dieses Ensemble recht eng fassen wollten.
Ostrowski: Ich hab diese doppelte Aufgabe nicht als schwer empfunden, aber als fordernd. Zusätzlich zum Regiejob muss man super performen, aber mit einer Leichtigkeit. Das saugt extrem viel an Energie, aber das ist halt Film.
Köpping: Er hat einfach ein Gefühl für beides. Beim Spielen diese Leichtigkeit zu bewahren, ist eine große Kunst, und dafür bin ich dann da, um ein Gegenüber zu sein. Damit er loslassen und seinem spielerischen Instinkt folgen kann.
Als Hauptdarsteller waren Sie von Anfang an involviert. Ein großer Vorteil …
Ostrowski: Das ist ein riesiger Vorteil. Du bist dann einfach in dieser Welt. Ich konnte ja jede Figur mitsprechen. Der Helmut ist vor über 15 Jahren mit dieser Idee gekommen: Da kommt ein Typ und schleicht sich in ein Haus ein. Wir fanden, dass das eine super Konstellation wäre, aber es war nicht sofort eine ausgemachte Sache. Wir haben uns dem dann langsam genähert.
Durch die Fabel vom Habicht hat die Geschichte auch etwas Traumartiges. Ist die Grundidee auch so ähnlich entstanden?
Köpping: Es war wie der Kern einer Fantasie. Ganz früh stand auch diese Schuldfrage im Zentrum: Ein Kind trifft den Vater mit dem Fußball am Kopf und der fällt gleichzeitig ins Koma. Was geht in dem Kind vor? Und die zweite Situation, die ich im Kopf hatte, war eine Frau, die in Sorge um ihren Mann ist. Da kommt ein anderer Mann und es gibt so ein Verliebtsein, und es ist schwer mit diesen verschiedenen Gefühlen umzugehen. Ein zentraler Gedanke war auch: Du kommst zurück zu deiner Schwägerin, in die du einmal verliebt warst, du umarmst sie und du spürst ihren Körper und plötzlich ist eine andere Erinnerung im Raum. Das hat uns erheitert, aber es ist auch traurig. Dann überlegt man: Was wäre wenn? Wir wollten es fast kammerspielartig halten, ohne viele Schnörkel, um diese Figur herum erzählt, die bei allen fieberhafte Abgründe auslöst.
Will Mike zunächst einfach nur etwas abstauben, weil er eine Chance wittert, oder wollte er immer bewusst alte Rechnungen begleichen, oder etwas wieder gut machen?
Ostrowski: Alles. Es ist ja nicht klar, jeder muss das selber sehen, auch wir beide, weil Menschen auch vielschichtig sind. Er bekommt diese Nachricht über seinen Bruder und weiß, es hält ihn zurzeit nichts in seinem Leben, er wohnt in seinem Ford Escort. Es ist auch Pandemie, auch keine gute Zeit für jemanden, der immer schaut, dass er wo unterkommen kann. Und er fährt sieben Stunden in seinem Auto, und schaut, was geht. Er sagt: „Wer nimmt dem Bruder jetzt die Frau weg?“ Er ist erschüttert von dem Anblick, seinen Bruder im Koma zu sehen. Aber er hat auch noch eine Rechnung offen.
Köpping: Er ist für mich ein Instinktspieler, agiert oft, bevor er denkt, wenn er eine Chance sieht. Zunächst gibt es einen Plan, aber dann gibt es auch etwas, das ihn erschüttert, und das ist die Begegnung mit dieser Frau. Sonst wäre es eine reine Abräumgeschichte. Aber er sagt selbst: „Ich möchte ein guter Vater sein.“
Die Geschichte mit dem Immobilienprojekt hat natürlich eine politische Komponente. In Österreich hatte man zuletzt viel zu tun mit korruptiven Phänomenen. Ist dieses Element spät hinzugekommen?
Ostrowski: Wir haben seit vielen Jahren überlegt: Wie bekommen wir diese typische, kleine österreichische Korruptionsgeschichte in den Film eingeflochten? Es geht um Gier. Es geht einerseits um Gier nach Leben, nach Feuer, Lust, verkörpert durch den Onkel. Es geht aber auch um Gier nach Geld, nach Besitz, verkörpert durch Sandro. Das sind zwei Welten. Der eine ist ein Habenichts, der andere sagt: Ich habe alles geschafft. Beide sind aber kriminell auf ihre Art. Und es basiert auf vielen realen Geschichten, die irgendwo in einer Gemdeinde passieren: Umwidmung eines Grundstücks, plötzlich ist es irrsinnig viel wert. Deshalb hat auch Gerhard Polt mitgemacht, er fand: So sind die Leut‘. Bissl bestechen, ein bissl teilhaben.
Köpping: Die Symbole verändern sich, aber die Korruption bleibt. Damals war es das Plastiksackerl, das irgendwo übergeben wird. Oder das Konto Natalie im Buwog-Prozess …
Ostrowski: Wir haben im Film das Konto Stefanie. Wir kommen ja aus dieser Zeit der Grassers und Meischbergers. Das ist ja eine schöne Tradition, die wir beschreiben. (lacht)
Bei der „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“-Trilogie war Detlev Buck dabei, jetzt Anke Engelke und Gerhard Polt. Geht es auch darum, verschiedene Humorfarben zusammenzubringen?
Ostrowski: Michael Glawogger hat Detlev Buck bei „Nacktschnecken“ dazugeholt, daraus ist auch eine Freundschaft entstanden. Wir haben immer danach getrachtet, mit den interessantesten Menschen zu arbeiten, das ist eher der Zugang. Weil’s cool wird, weil’s einen ergänzt und weiterführt. Anke war für uns der Schlüssel für diesen Film. Wenn du diesem Onkel keine super starke Partnerin gegenüberstellst, die ernst und lustig sein kann, dann funktioniert der ganze Film nicht. Es braucht mehr als eine gute Schauspielerin, es braucht auch eine starke Persönlichkeit.
Köpping: Das ist schon eine Glawogger-Spur, die wir auf unsere Art weiterverfolgen wollen, dieser Spirit war schon wichtig für uns.
Ostrowski: Weil er auch immer Leute gesucht hat, er ist immer nach außen gegangen und hat Leute zu sich geholt.
Köpping: Aus der Bubble heraus, er hatte eine gewisse Skepsis als Haltung und eine große Liebe fürs Verrückte.
Wie wichtig war der Dreh mit Anke Engelke zu „Tödliche Entscheidungen“ in Südafrika?
Ostrowski: Das war eines dieser Projekte, wo du dich fragst: Tu ich mir das an, für einen Drehtag nach Südafrika zu fliegen? Aber ich hatte eine Riesenszene mit Anke und wenn ich es nicht gemacht hätte, wer weiß? Sie hat uns ja auch großes Vertrauen geschenkt, sie hat ja nur das Buch gelesen.
Wie war die Zusammenarbeit mit ihr?
Köpping: Wirklich großartig. Große Freude und Spiellust, ein Mitdenken von Anfang an, ein Gegenüber von Michi sein, diese Figur sich aneignen, zu ihrer zu machen, gleichzeitig eine große Aufmerksamkeit für alle, die mitwirken. Es gibt Menschen, die gleich eine Freude im Raum verbreiten, und da gehört sie dazu. Wenn sie auftaucht, macht es gleich mehr Freude zu arbeiten.
Ostrowski: Sie kommt ans Set, grüßt jeden, ist freundlich zu jedem, ist lustig, macht einen depperten Schmäh, liest die Zeitung, geht spielen, liest die Zeitung.
Wie war diese schöne, zerbrechliche Kuss-Szene?
Ostrowski: Hochprofessionell. Ich fand die Szene deshalb interessant, weil zwei verschiedene Filme ablaufen. Der Mike ist eigentlich ein unendlicher Romantiker. Er sagt: „Du hast mich geküsst, das heißt, du willst mit mir zusammen sein.“ Sie: „Geh bitte, wenn du von den Sternen erzählst … Aber du musst jetzt wieder abhauen.“ Teilweise war das improvisiert.
War die Mau-Mau-Szene auch teilweise improvisiert?
Ostrowski: Ich hatte auch für „Contact High“ eine irrsinnig lange Mau-Mau-Szene geschrieben, und die ist dann hinausgeflogen. Zu Mau-Mau hatte ich immer schon eine große Liebe, und bei diesem Film hat es einfach super gepasst.
Köpping: Dass es ein Kinderspiel ist, dass dann zu so einer großen existenziellen Bedrohung für einen Beteiligten wird, ist für mich wieder so eine Nähe des Lustigen zum Tragischen. Simon spielt unversehens ein bisschen um seine Frau. Und er spielt das so großartig: „Ich habe Mau gesagt!“ Aber keiner hat es gehört. Tja …
Ostrowski: Es geht plötzlich bis aufs Blut: „Wennst verlierst, bist du weg.“ – Wir bauen ihn hier noch einmal zum Hauptgegner auf – und am Schluss wird er zum Lebensretter. Wir wollen in jeder Szene eine Form von Umkehrung erreichen. Dass etwas passiert, das du nicht erwartest.
Das ganze Interview: Anke Engelke über Wien, über ihren Ausstieg bei "LOL" und über Sachen, die sie heute nicht mehr machen würde:
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