Den Festspielen geht es wie dem Neusiedler See
Ein neuer Jedermann übt sich also ab Freitag in seinen letzten Stunden in Einsicht, eine neue Buhlschaft lässt ihn bei erster Unbequemlichkeit fallen: Die alljährliche „Jedermann“-Premiere in Salzburg ist wie sonst wohl nur das Neujahrskonzert Teil der österreichischen kulturellen Selbstvergewisserung. Das Kleid, das Brimborium rundherum, die Mischung aus Theater und Gesellschaftsschauspiel interessieren auch manchen zumindest peripher, der nicht dabei ist.
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Der „Jedermann“ ist die lukrative Pflicht, der Rest des Programms der Kür-Ort, an dem die Festspiele sich ihrer Relevanz brüsten. Allergrößte Oper, allergrößtes Schauspiel stehen auf dem Spielplan, es geht um alles, was den Menschen im Wesen ausmacht.
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Salzburger Star-Erscheinungen wie einst Anna Netrebko und zuletzt Asmik Grigorian (heuer in Verdis „Macbeth“) werden in die Umlaufbahn gehievt. Im Publikum sitzen Kulturversteher und Geldversteher einträchtig nebeneinander.
In Salzburg läuft das dem Vernehmen nach kartenverkaufsmäßig hervorragend, im ebenfalls schwergewichtigen Bayreuth weniger: Dort gibt es das erste Mal seit vielleicht überhaupt Karten für die heurigen (!) Festspiele zu kaufen.
Einst wartete man zehn Jahre auf die Ehre, am harten Sessel Wagner hören zu dürfen. Die Schuldige an der Misere glaubte man schnell gefunden zu haben: Die moderne Regie vergälle es den armen Wagnerianern zunehmend, sich des Meisters Werke anzuhören. Von derartigen Beschwerden („Fledermaus“!) weiß man auch in Salzburg ein Lied zu singen.
Dieser unter Bühnenfreunden mit aller Ernsthaftigkeit ausgetragene Streit um die Regie verdeckt aber eine Frage, die gern hinter den Horizont verwiesen wird: wie es nämlich um die gesamtgesellschaftliche Relevanz all dieser Festspielunternehmungen wirklich bestellt ist. Da steht eine aus der Historie abgeleitete Gewissheit – ganz Österreich, nein: die Welt verfolgt mit Interesse die Festspiele – einer unfreundlichen Realität entgegen.
Auch hierauf hat die Pandemie ein grelles Schlaglicht geworfen: Die Kunst hat da mit ihren zeitlosen Antworten auf ewige Fragen fatal alt ausgesehen. Und Politik und Öffentlichkeit haben ohne Scheu signalisiert, wo in der Wichtigkeitshierarchie die Kultur steht, wenn es eng wird: ganz unten. Daran wird man bei den sicherlich salbungsvollen Festspieleröffnungen demnächst nicht erinnern wollen: Auf die Kultur wurde verzichtet.
Entkoppelt
Nun läuft die Kulturmaschine längst wieder gut geölt und ohne Stottern – die Stellung dessen, was sie produziert, ist jedoch unbestritten eine andere geworden.
Hier hat sich etwas entkoppelt: Die Gegenwart verändert sich radikal – in der Bühnenkultur wird hingegen darüber diskutiert, bis zu welchem Maße sie gleich zu bleiben habe. Der öffentliche Diskurs läuft an ihr vorbei, in den Social Media ist sie inexistent, nicht einmal mehr die Populisten scheinen große Ambitionen zu haben, sich an ihr abzuarbeiten.
Aktuellen Fragen – was Festspiele in der Klimakrise noch bieten werden können, wie mit russischen Künstlern umgehen, was mit diesem Menschenbild anfangen, das sich zunehmend entblößt – widmet sie sich mit offensiver Lustlosigkeit.
Gern beschwört die Kultur – gerade in der Festspielrechtfertigungsrhetorik – ihr besonderes Einsichtsvermögen in die Zwiebelschichten der menschlichen Existenz. Festspiele sind auch in diesem Sinne die größte, die umfassendste Kulturgeste überhaupt: Hier geht es in allem um alles! Zumindest um alles, was Oper und Theater und Konzertmusik so vom Menschen wissen.
Das wird unter Kulturfreunden zu Recht hoch gehandelt. Darauf, dass das aber an der unbequemen Gegenwart vorbeierzählt, dass das feinziselierte Kulturbild vom Menschen längst ins Rutschen geraten ist, schaut man lieber nicht so genau. Dem Karpfenteich, in dem die Festspiele Hecht sind, geht es wie dem Neusiedler See: Er trocknet aus. Und so stehen die Festspiele vor Zukunftsfragen, die man mit noch so guter Kunst, mit noch so hoher Auslastung nicht beantworten kann – aber beantworten müsste.
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