Am Ende des Tunnels: Licht, und andere Kultur
Es gibt keinen Zweifel: Die Kultur wird wieder aufsperren.
Zwar schließen mit heute auch noch die letzten Reste des öffentlichen Herantretens von Kultur an die Menschen: Die Galerien, die als Geschäfte gelten und damit im Soft-Lockdown offen gehalten hatten, sind nun auch zu. Irgendwo in den Eingeweiden der großen Bühnen wird für Premieren geprobt, deren Termine ätherisch sind wie Theaterspuk. In den Museen hängen, ungeschaut, die größten Werke.
Aber dass nach den kommenden stummen Wochen die Kultur wieder aufsperren wird, daran kann sich der Kulturfreund orientieren.
Die Frage aber, die sich stellt, ist: Wie und Was da wieder aufgesperrt wird.
Strukturabbau
Denn zwischen dem halblauten Widerspruch und der virologischen Demut, die die Direktorinnen großer und kleiner Häuser derzeit vor sich hertragen, hat das große Befühlen der Kultur auf ihren künftigen Zustand hin längst begonnen.
Corona ist jetzt eine Pandemie, und für die Zukunft der Kultur ein Brandbeschleuniger: Es sieht alles danach aus, dass sich Tendenzen und Strömungen, die längst begonnen haben, die Kultur zu verändern, nun potenzieren. Und dass kein nahtloses Anknüpfen an das Davor mehr möglich sein wird.
Dabei geht es, ganz banal und am wichtigsten, um Menschen. Vielen Kulturschaffenden wurde in den letzten Monaten der dünne Teppich unter den Füßen weggezogen, der sie vom finanziellen Abgrund trennte. Durch die Digitalisierung konnten zwar zuletzt mehr Menschen Kultur schaffen, aber weniger Menschen ausreichend damit verdienen. Nun haben viele gelernt, dass die Kultur ihnen keine ausreichend sichere Zukunft bieten kann. Und diese werden nicht zurückkehren.
Dies reicht weit bis in die künstlerische Mittelklasse hinein: Auch viele jener, die erfolgreich Publikum oder Fans um sich geschart hatten, sind längst auf persönlicher Ebene ins Wanken geraten und weiter ohne rechte Perspektive. Die zahllosen Online-Konzerte sind zwar Lichtblicke im dunklen Kultur-Tunnel, aber kein Job.
Wo es – im Gegensatz zu Österreich – keinen stark fördernden Staat gibt, werden viele Menschen sich aus dem Bereich wegorientieren. Damit wird der Unter- und Mittelbau der ganzen Branche porös; und damit wird auch der Pool ausgedünnt, aus dessen kreativer Ursuppe hin und wieder ein neuer Star geboren wird.
Defensive
Auch hat sich ein weiteres unglückseliges Zusammenspiel herauskristallisiert: Gerade das, was gerne als teure Elitenkultur abgetan und aus der öffentlichen Diskussion herausgedrängt wird, lässt sich digital nur mit großen Abstrichen umsetzen. Große Oper am kleinen Handy, die Bretter, die am Laptop die Welt bedeuten? Naja.
Umso leichter aber werden diese Kulturformen jetzt beiseite gewischt, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Zunehmend sauer stößt der Branche auf – und zu Recht! –, dass sie virologisch als Freizeiteinrichtung abgehakt wird. Es wartet aber noch manch’ bittere Frage auf die Verfechter des Gedankens, dass Kultur mehr ist als Unterhaltung und Entspannung: Wenn es jetzt dann ein Jahr lang mehr oder weniger ohne gegangen ist, und vielleicht noch ein weiteres halbes Jahr nur auf Sparflamme veranstaltet wird, wird man manchem Politiker, manchem Konsumenten und manchem Meinungsbildner noch einmal erklären müssen, was an diesem Gesamtzustand falsch ist.
Und: Verliert man in diesen Monaten das junge Publikum, um das man viele Jahrzehnte mit einer Vermittlungsinitiative nach der anderen gekämpft hat, endgültig?
Wie schnell verlernt man das Bedürfnis nach dem echten Erlebnis?
Geimpften-Festivals
Und auch dieses echte Erlebnis wird künftig anders aussehen. Live Nation, weltgrößter Konzertveranstalter im Pop- und Rockbereich, sinniert bereits sehr offensiv darüber dass man Festivals 2021 – sollten sie stattfinden! – nur gegen Vorweis einer Corona-Impfung oder nach negativem Test besuchen wird können.
Weniger Punk ist kaum vorstellbar: Nur die Gesunden sollen feiern dürfen, nachdem sie eine Handy-App vorgezeigt haben, in der Impf- und Gesundheitsstatus ablesbar ist. Was wird das mit einem Business machen, das sich zumindest noch daran erinnern kann, von unten angefangen zu haben, auf den Schultern von Außenseitern und Gedemütigten und Protestierenden?
Wie lang wird man bei jedem herzhaften Konzerthusten des Sitznachbarn zusammenzucken? Wann zahlen die Menschen wieder Geld dafür, beim Kabarett gemeinsam Lachen zu gehen? Wie kann sich das fragile internationale Leihsystem im Kunstbereich erholen? Wo war nochmal gleich der Ausschaltknopf fürs Streaming, damit man rechtzeitig ins Kino kommt?
Die Antwort auf diese Frage wird sein: Das Angebot an Kultur wird künftig genauso reichhaltig sein wie vor Corona, und das ist auch gut so. Aber es wird wohl für immer ein anderes sein.
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