Alfred Dorfer: "Frauenfußball ist ein Spiel ohne Schmierentheater"
Wenn Alfred Dorfer über Fußball spricht, dann sprudeln Wörter wie Konter, Viererkette und Laptop-Trainer mit viel Leidenschaft aus ihm heraus. Denn Fußball hat es dem österreichischen Kabarettisten und Schauspieler, Austrianer („Wos sunst?“) und Autor angetan. Aber Alfred Dorfer schaut nicht nur Männern gerne dabei zu, wie sie 90 Minuten und mehr dem Ball hinterherjagen, um ihn dann kunstvoll über die Linie zu befördern. Der 60-Jährige hat auch ein Auge für Frauen. Genauer gesagt für den Frauenfußball.
Besonders imponiere ihm dabei die Ehrlichkeit des Spiels. Frauen fallen nicht wie Männer einfach im Strafraum um, winden sich nicht vor Schmerzen, ohne überhaupt berührt worden zu sein. Dieses Geraunze, dieses Kasperltheater sei den Frauen völlig fremd – im Gegensatz zu Neymar, „der bereits umfällt, wenn sich ein Grashalm verbiegt. Mir gefällt besonders gut am Frauenfußball, dass es ein authentischeres Spiel ohne Schmierentheater ist, so wie das auch beim Eishockey, Rugby oder American Football der Fall ist“, sagt Alfred Dorfer im Gespräch.
KURIER: Und trotzdem wird Frauenfußball von vielen Männern noch immer geringgeschätzt, milde belächelt. Warum?
Alfred Dorfer: Das Problem ist länderspezifisch. In den USA, in England, in skandinavischen Ländern sieht die Situation bereits ganz anders aus. Die sind uns von der Entwicklung her, ein bis zwei Schritte voraus. Wir stehen gerade am Sprung zu einem interessierten „Aha“, das gibt es auch. Deshalb sind die Strukturen und die Möglichkeiten im österreichischen Frauenfußball noch sehr ausbaufähig. Eigentlich hätte man nach der erfolgreichen EM 2017 mit der Halbfinal-Teilnahme den Frauenfußball in Österreich noch einmal auf ein höheres, professionelleres Level heben müssen – vor allem was die internen Strukturen, die Infrastruktur und das Fördersystem betreffen. Eigentlich sollte jeder Profiverein in Österreich, jeder Bundesligaverein ein eigenes Frauenteam stellen.
Rapid hat sich kürzlich als einer der letzten heimischen Spitzenklubs für die Gründung eines eigenes Frauen-Team ausgesprochen, im Gegensatz zu Red Bull Salzburg. Was kann man im Jahr 2022 noch gegen ein Frauenteam sprechen? Am nötigen Kleingeld kann es bei Salzburg ja nicht scheitern…
Bei RB Salzburg könnte es doch am Kleingeld scheitern, da der Frauenfußball zurzeit ökonomisch noch nicht so attraktiv ist. In jedem Fall lautet die klare Botschaft nach außen: „Wir wollen keinen Frauenfußball in unserem Verein.“ Ob das imagemäßig clever ist, kann nun jeder für sich selbst beantworten. Am besten fragt man jedoch direkt in Salzburg nach den Gründen, damit wir hier nicht spekulieren müssen.
Die Heimspiele der Frauen werden derzeit hauptsächlich im nicht gerade glanzvollen Stadion in Wr. Neustadt ausgetragen werden. Auch nicht gerade imagefördernd, oder?
Nicht unbedingt. Das Happel-Stadion ist noch zu groß, das lässt sich nur schwer füllen. Diesen Umstand mussten zuletzt auch die österreichische Herren-Nationalmannschaft zur Kenntnis nehmen, jetzt mal vom Frankreich-Spiel abgesehen. Aber es gibt ja auch zahlreiche tolle Alternativen. In Wien denke ich da etwa an das Austria-Stadion. Aber auch Graz wäre ein guter Boden. Diese Stadien mit einer Kapazität von zirka 12.000 bis 16.000 Zuseher gut zu füllen, sollte der nächste Schritt sein.
Bleiben wir bei den strukturellen Problemen unter denen die Entwicklung des Frauenfußballs leidet. Es mangelt zum Beispiel an Trainerinnen. Hat es der ÖFB verabsäumt, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen?
Der persönliche Anspruch und die aktuell vorfindbaren Rahmenbedingungen passen nicht zusammen. Bei so viel Euphorie – „Hurra wir sind Dritter der Europameisterschaft“ -, vergisst man gerne auf die tägliche, mühevolle, natürlich nicht erotische Arbeit: Den weiteren Aufbau des Fundaments, auf diesem solche Leistungen und Erfolge erst entstehen können. So lange die Gschaftlhuber, also Funktionäre in einem Verband, meistens Männer sind, wird sich da nur bedingt was ändern.
Wie werden die Österreicherinnen bei der EURO in England abschneiden?
Ich bin ein Optimist. Gegen England wird es zum Auftakt in einem ausverkauften Old Trafford natürlich sehr schwer, aber die Engländerinnen haben dabei wesentlich mehr Druck, mehr zu verlieren als unsere Damen. Nordirland ist machbar. Das Schlüsselspiel wird wohl gegen Norwegen sein.
Sie sind seit Jahren ein leidenschaftlicher Fußball-Fan. Wie passen Kunst und Fußball zusammen?
In Italien ist es vollkommen klar, dass Opernstars und große Künstlerinnen bei einem Fußballspiel der Squadra Azzurra auf der Tribüne sitzen und sich das Spiel begeistert ansehen. Diese seltsame Abkanzelung von Sport und Kunst, wie das in Österreich nach wie vor betrieben wird, ist ja in Italien undenkbar, weil dort Fußball Volkskultur ist. Dort legen sich manche Promis sogar eine künstliche Leidenschaft zu, um ja nicht aufzufallen. In Österreich konnte man hingegen jahrelang eine Abschottung seitens der Kulturszene feststellen – es wurde gerne herablassend auf den Fußball gesehen. Diese Überheblichkeit löst sich meiner Meinung nach aber zunehmend auf. Für mich ist Fußball eine Form von Kunst – vorausgesetzt man beherrscht sie (lacht). Für mich sind viele Spieler großartige Künstler. Alleine was die Koordination von Technik, Schnelligkeit, Athletik und Spielintelligenz betrifft.
Sind Sie ein Freund der ausgeklügelten Taktik?
Ich bin kein Freund vom Fußball, der am Reißbrett entsteht, kein Freund der Laptop-Trainer, die andauernd von der hängenden Sechs und dem Umschaltspiel reden. Warum darf es eigentlich keinen Konter mehr geben, sondern ist nur noch von einem Umschaltspiel die Rede. Das ist doch totaler Schwachsinn. Das plappern wir Österreicher einfach den Deutschen nach. Diese Eindeutschung ist doch eine Form der Kolonarisierung.
Wie hat Ihnen die Bestellung von Ralf Rangnick gefallen?
Gut. Endlich haben wir jemanden, der diese tolle Mannschaft, die wir derzeit haben, mutig nach vorne spielen lässt und diesen vorsichtigen, abwartenden Fußball vom Trainingsplan gestrichen hat. Wenn jemand sagt, dass er nach einem 1:1 gegen den amtierenden Weltmeister nicht zufrieden ist, dann kann man das vielleicht als goschert bezeichnen, aber eben auch als neue Form des Selbstvertrauens. Ralf Rangnick hat als Deutscher offensichtlich ein Gen, dass uns Österreichern fehlt.
Sie haben soeben zwei Folgen von „Weber & Breitfuß“, einer MA2412-Adaption abgedreht. An was arbeitet Alfred Dorfer gerade?
Ich bin jemand, der rund 130-mal im Jahr auftritt. Aktuell bin ich mit meinem aktuellen Kabarettprogramm „und…“ in Österreich und Deutschland unterwegs. Für einen alten Mann wie mich ist das schon sehr viel, aber ich stehe auch gerne auf der Bühne. Ich war immer schon ein leidenschaftlicher Bühnenkünstler, auch wenn ich für Film und Fernsehen vor der Kamera gestanden bin. Das ist der zweite Bildungsweg. Der erste war immer die Bühne. Aktuell arbeite ich nebenbei noch an einem Drehbuch für eine deutsche Kinoproduktionsfirma.
Ein neues Kabarettprogramm ist also nicht in Planung?
Nach dem es aufgrund der Corona-Politik immer noch keine Planungssicherheit gibt, mir das allen momentan noch zu unsicher ist, werde ich mich jetzt nicht ein halbes Jahr hinsetzen, um ein neues Programm zu schreiben, mit dem ich dann die Hälfte des Jahres nirgends auftreten kann, weil da Lockdown ist. Darauf habe ich einfach keine Lust, wobei ich durchaus Lust habe, ein neues Kabarettprogramm zu schreiben.
Sie sind sehr unauffällig bzw. gar nicht auf Social Media unterwegs. Warum?
Ein sehr wichtiger Grund ist die vermeintliche Privatheit, die auf diesen Medien vorgetäuscht wird. Eine Zeitung zum Beispiel fungiert als Vermittlerin, bei den oben genannten fehlt diese Vermittlerrolle, dadurch sind sie mir zu direkt und persönlich. Zum Twittern fehlt mir zudem der Mut. Ich finde es wahnsinnig mutig, dass Menschen das, was ihnen gerade aus dem Kopf rinnt, öffentlich machen. Ich glaube auch, dass wir nicht dauernd auf diesen Plattformen unsere Botschaften und Meinungen verkünden sollten. Aber was das Erreichen der Öffentlichkeit betrifft, muss man solche Kanäle als Ankündigungsmedium natürlich auch bespielen, denn viele Menschen erreicht man anders einfach nicht mehr.
Viele werden durch das Posten von Befindlichkeiten bekannt, zu Künstlern und Künstlerinnen hochstilisiert und dürfen Bühnen bespielen. Wie sehen Sie das?
Das ist der Preis für ein devastiertes Bildungssystem. Wenn man Menschen zum selbstständigen Denken erziehen würde, was machtpolitisch natürlich nicht ratsam ist, dann gäbe es diese Auswüchse nicht. Natürlich haben wir gewisse Schwächen wie Neugierde, Mitreden wollen, sich Lustig machen und Voyeurismus, und an diese Schwächen dockt ja der gefährliche Schwachsinn an. Damit will ich aber nicht sagen, dass das Internet schlecht ist: Es hat auch ganz viele gute Seiten. Und genau diese Seiten sollte man wieder mehr nutzen und auch im Unterricht an Schulen vermitteln.
Wie wäre es mit einem Internet-Führerschein?
Warum nicht. Es gibt ja auch einen Hundeführschein. Das gilt übrigens für Alt und Jung. Mit dem Ankauf eines Smartphones, eines Computers sollte man auch überprüfen, ob man damit umgehen kann. So wie das beim Auto der Fall ist. Da braucht man ja auch einen Führerschein, um es lenken zu dürfen. Ändern wird sich das nicht, aber man soll ja nicht mit dem Hoffen aufhören.
Das Internet ist mittlerweile jener Ort, an dem man sich empört, Hass und Frust abladen kann. Was macht das mit der Gesellschaft?
Der Beobachtungszeitrum, um das genau analysieren zu können, ist noch zu kurz. Was man aber sehen kann, ist, dass eine Plastifizierung des Menschen, eine Gleichschaltung der Menschheit und eine Verhetzung stattfinden. Wir wissen ja seit den Römern, dass eine geteilte Gesellschaft leichter zu regieren ist: Nichts ist so wenig wünschenswert wie eine solidarische Gesellschaft. Und wenn ich mich über jeden Schmarrn auf Social Media empören kann, jemanden nur mit einem Klick beleidigen kann, ist es einfach, Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Der große Verlierer ist dabei die Demokratie. Und das ist gefährlich.
Die Inflation liegt über sieben Prozent, die Preissteigerung in allen Bereichen ist spürbar. Vieles wird teurer. Das wird sich auch auf Kunst und Kultur auswirken. Wann werden Sie die Eintrittspreise erhöhen?
Wenn die Stromkosten, der Benzinpreis, die Lebenshaltungskosten in die Höhe schießen, ist es klar, dass die Menschen Entscheidungen treffen müssen: Ein Theater- oder Kabarettbesuch steht dann bei vielen sicherlich nicht ganz oben auf der Liste. Künstler, die nicht subventioniert werden, könnten jetzt hergehen und den Preis für eine Karte senken, damit sich der Besuch im Kabarett weiterhin für alle ausgeht. Josef Hader und ich verfolgen seit Jahrzehnten die Politik, die Eintrittspreise nicht zu sehr in die Höhe zu treiben, sofern es eine Mitsprache gibt. Wir sind nämlich überzeugt, dass eine moderate Preisgestaltung ein sehr heterogenes Publikum generiert. Der logische Schritt der nicht subventionierten Künstler wäre also meiner Meinung nach: niedrigere Preise. Ein Kabarett- oder Konzertbesuch muss weiterhin leistbar sein. Denn die Alternative ist, in halbleeren Häusern zu spielen.
Zur Person: Alfred Dorfer
Der Kabarettist und Schauspieler (60) gehört zu den scharfsinnigsten Satirikern im deutschsprachigen Raum. Alfred Dorfer feierte mit Solos von „Alles Gute“ bis „und...“, Filmen wie„Muttertag“ und „Indien“, den TV-Reihen „MA 2412“ und „Dorfers Donnerstalk“ und zuletzt auch als Opernregisseur (er inszenierte Mozarts „Figaro“ am Theater an der Wien) beachtliche Erfolge. Aktuell stourt Alfred Dorfer mit seinem Programm "und..." durch Deutschland. Im August tritt er dann wieder in Österreich auf. Termine finden Sie hier.
TV-Tipp: "Alfred Dorfer trifft … die Fußball-Teamchefin"
Ehe es am Mittwoch, dem, 6. Juli für Österreichs Frauen-Nationalteam ernst wird und das Eröffnungsspiel gegen Gastgeber England auf dem Programm steht (ORF 1 überträgt ab 20.15 Uhr und zeigt alle Spiele dieses Turniers live), steht der zweite Hauptabend in ORF 1 bereits ganz im Zeichen dieses sportlichen Events: Um 21.05 Uhr stellt die Doku „One heart one goal – Mehr als nur Fußball“ zum einen die wichtigsten Spielerinnen des Nationalteams vor, zum anderen aber auch Nachwuchsspielerinnen, die versuchen in die Fußstapfen von Schnaderbeck und Co zu treten. Danach heißt es um 21.50 Uhr „Alfred Dorfer trifft … Irene Fuhrmann“. Der Zufall will es, dass Fußball-Fan Alfred Dorfer (wenn auch ein paar Jahre früher) mit dem BG/BRG Tiefenbachgasse dieselbe Schule wie Österreichs Team-Chefin Irene Fuhrmann besucht hat. Im Gespräch geht es dann allerdings nicht um Viererkette oder Gegenpressing, sondern um Themen wie Bezahlung, Homosexualität im Fußball uvm.
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