Albert Camus: Sehnsucht nach dem Verstehen
Was auf dem verpflichtenden Leseplan 15-Jähriger steht, erfährt oft wenig Gerechtigkeit. Es gibt kaum Schlimmeres als Weltliteratur, in wechselnden Rollen von Mitschülern vorgetragen.
Warum aber ist es Albert Camus gelungen, Pubertierenden direkt in Mark und Bein zu fahren (und sie nie mehr loszulassen)?
(Sinn-)Suchenden jungen Menschen kann wohl exakt diese Feststellung des „absurden Menschen“ in Camus’ Werk Antworten geben: Er beschreibt die Diskrepanz zwischen der menschlichen Sehnsucht nach Verstehen ... und dem Schweigen der Welt.
Grundfrage
Camus, der Mann, für den es keinen Gott gab und der Sisyphos als glücklichen Menschen darstellte.
Der als Wesen der Philosophie den Selbstmord bezeichnete: „Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden, oder nicht, heißt, auf die Grundfrage der Philosophie antworten“, lautet der erste Satz in Camus’ „Mythos des Sisyphos“.
War es diese nackte Brisanz allein, die ihn zum Schwarm (junger) Leser machte? Vielleicht auch das stets dandyhafte Auftreten des Literaturnobelpreisträgers, das Henri Cartier Bresson in einer berühmten Fotoserie festhielt – der Autor als Bogart-Verschnitt: aufgeschlagener Mantelkragen, Zigarette im Mundwinkel, spöttischer Blick, das zum Image Camus’ als Pin-up des Existenzialismus beitrug.
Einwanderer und Frauenheld
Auch mit seiner Ablehnung des Unabhängigkeitskampfes Algeriens stieß Camus auf Unverständnis: Anders als die französischen Intellektuellen jener Jahre verurteilte er die Gewalt beider Seiten: Angesichts der kommenden Globalisierung, die er klar voraussah, hielt er nationale Revolutionen für rückwärtsgewandt.
Seine Heimat Algerien blieb für den im finsteren Paris stets Unglücklichen ein bukolischer Sehnsuchtsort, der den „Sommergeruch der algerischen Erde“ barg.
Albert Camus wird am 7. November 1913 im algerischen Armenviertel Belcourt als Sohn eines Kellermeisters und einer Putzfrau geboren. Der Vater stirbt im Ersten Weltkrieg, die Mutter ist stets schweigende Analphabetin.
Gefördert durch seine Lehrer, wird Camus Journalist und Autor, geht später nach Paris. 1937: „Hochzeit des Lichts“, 1942: „Der Fremde“ und „Der Mythos des Sisyphos“. Er wird berühmt. 1947 erscheint „Die Pest“.
Tod1956 „Der Mensch in der Revolte“. 1957 Nobelpreis für Literatur. Camus stirbt am 4. Jänner 1960 bei einem Autounfall. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder. 1994 erscheint posthum „Der erste Mensch“.
Wer Camus vor allem als Moralisten und Ratgeber der Vernunft kennt, dem sei der neu aufgelegte Erzählband Hochzeit des Lichts (Arche, 182 S., 18,50 €) mit Erzählungen aus den 30ern und 40ern ans Herz gelegt. Darin beschreibt er seine Heimat Algerien: Sonne, Licht und der Duftäther der Wermutbüsche. Traumhaft.
Unter den neuen Biografien ist jene der deutschen Literaturkritikerin Iris Radisch am lesenswertesten: Camus. Das Ideal der Einfachheit (Rowohlt, 350 S., 20,60 €) beschreibt den Autor in seiner Widersprüchlichkeit. Außerdem neu: Albert Camus. Die Freiheit leben des Schweizer Literaturwissenschaftlers Martin Meyer (Hanser, 370 S., 25,60 €). Sehr wissenschaftlich: Im Namen der Freiheit. Leben und Philosophie des Albert Camus des französischen Philosophen Michel Onfray (Knaus, 573 S., 30,90 €).
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