Hermann Nitsch: Reaktionen auf den Tod eines Weltkünstlers

Hermann Nitsch: Reaktionen auf den Tod eines Weltkünstlers
Der Mitbegründer des Wiener Aktionismus ist 83-jährig gestorben. Er wurde mit seinem Orgien Mysterien Theater weltbekannt.

Der weltberühmte Aktionskünstler Hermann Nitsch ist gestern, Montag, im Krankenhaus von Mistelbach nach schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren gestorben. Das bestätigte seine Frau am Dienstagfrüh. Er sei "sehr friedlich" eingeschlafen, sagte Rita Nitsch der Austria Presseagentur. Die ersten beiden Tage des im Vorjahr coronabedingt abgesagten 6-Tage-Spiels werden am 30. und 31. Juli dennoch stattfinden. "Das haben wir ihm versprochen."

Hermann Nitsch ist tot: Der gehasste und geliebte Aktionist

Hermann Nitsch war einer der bekanntesten Gegenwartskünstler Österreichs. Am 29. August 1938 in Wien geboren, besuchte er die Grafische Lehr- und Versuchsanstalt. Bereits seine ersten Arbeiten zeugten vom Interesse an religiösen Themen, mit denen er sich Zeit seines Lebens beschäftigen sollte. Der Mitbegründer des Wiener Aktionismus entwickelte eine eigenständige Kunstpraxis, das Orgien Mysterien Theater, bei dem er Text, Musik, Malerei und Performance gesamthaft verknüpfte. Höhepunkt war das 1998 auf Schloss Prinzendorf umgesetzte 6-Tage-Spiel.

Nitsch wurde neben vielen anderen Auszeichnungen 1984 mit dem Kunstpreis für Bildende Kunst und 2005 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis geehrt.

 

Van der Bellen: "Niemanden kaltgelassen"

„Mit ausdrucksstarken Bildern und Aufsehen erregenden Aktionen hat er die heimische Kunstwelt neu definiert. Nun ist der Großmeister des Aktionismus von uns gegangen: Hermann Nitsch ist tot“, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer ersten Reaktion auf das Ableben des Malers und Aktionskünstlers.

„Die heimische Kunst ist damit um eine ihrer auch international bedeutendsten Persönlichkeiten ärmer. Konsequent hat Hermann Nitsch über Jahrzehnte hinweg an seinem kultischen Stil gearbeitet, seine Werke und sein Wirken haben niemanden kaltgelassen. Österreich trauert um einen unbestechlichen und faszinierenden Maler und einen beeindruckenden Menschen. Sein Werk wird weiterleben, dessen bin ich mir gewiss“, betont der Bundespräsident.

Bundeskanzler Karl Nehammer kondolierte per Tweet: "Die Nachricht des Todes von Hermann Nitsch macht mich sehr betroffen. Mit ihm haben wir einen einzigartigen österreichischen Künstler verloren. Meine Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei seiner Familie."

Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer würdigte Nitsch als "wahrhaft einzigartigen Künstler". „Seine vielfältige Auseinandersetzung mit Kunst, Ästhetik, Religion und Philosophie hat Hermann Nitschs Werk förmlich durchzogen. Seine Großformate ziehen Menschen in ihren Bann wie es kaum andere Kunstwerke können. Mit den Orgien-Mysterien-Spielen hat Nitsch außerdem die Grenzen des Kunstschaffens neu definiert. Was mich persönlich an Nitsch beeindruckt hat, ist seine Durchsetzungskraft und seine Standhaftigkeit trotz aller Kritik, die ihm vor allem zu Beginn entgegengeschlagen ist“, so Mayer.

Nitsch fand bereits Anfang der 1970er Jahre in Niederösterreich seine künstlerische und private Heimat. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) übermittelte am Dienstagmorgen auch die  erste offizielle Reaktion per Aussendung: "Hermann Nitsch war ein Künstler von Weltrang und einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler überhaupt. Wir waren und sind unglaublich stolz, dass er eine so tiefe Verbindung zu Niederösterreich hatte und bei uns in Prinzendorf ein Zuhause gefunden hat." Nitsch sei "eine ganz große Persönlichkeit, die gerne in unserem Land gelebt und unserem Land viel gegeben hat.“

Zudem hob Mikl-Leitner hervor: "Er war eine schillernde, zuweilen auch polarisierende und umstrittene, aber immer spannende Künstlerpersönlichkeit von weltweiter Bedeutung. Unsere Gedanken sind nun bei seiner Witwe Rita und seiner Familie.“

Pröll: "Vielseitiges und prägendes Wirken"

Tief betroffen über Nitschs Ableben zeigte sich auch Altlandeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP): „Hermann Nitsch war als große Künstlerpersönlichkeit anerkannt und verankert in der internationalen Kunstwelt. Sein Name und Werk bleiben über seinen Tod hinaus ein Teil der Kunstgeschichte."

Pröll erinnert auch an "Diskussion und Kritik","wenn ich etwa an das Werden des Nitsch-Museums in Mistelbach denke, für das viel Kraft und Überzeugungsarbeit notwendig war. Für mich persönlich war Nitsch ein beeindruckender Mensch und Freund“, so Pröll.

"Viele haben in Nitsch zuallererst den umstrittenen, provokanten und kontroversen Künstler gesehen. Eine Etikette und Einordnung, die dem großen, vielseitigen und prägenden Wirken bei weitem nicht gerecht wurde. Nitsch war ein sensibler, bodenständiger und zutiefst gläubiger Mensch, stets auf der Suche nach Antworten auf grundlegende Fragen des Lebens und des Glaubens", schrieb Pröll.

SPÖ-Kultursprecherin Gabriele Heinisch-Hosek würdigt Nitsch als einen der wichtigsten Kulturschaffenden Österreichs seit 1945. „Hermann Nitsch war ein Tabubrecher und ein radikaler Avantgardist. Als einer der Mitbegründer des Wiener Aktionismus ist er auch zum international bedeutendsten Vertreter dieser wichtigsten Kunstbewegung im Österreich der Nachkriegszeit geworden. In diesem Nachkriegs-Österreich hat Nitsch polarisiert, Grenzen verschoben aber schlussendlich durch den internationalen Erfolg auch in Österreich die verdiente Anerkennung bekommen. Hermann Nitsch war in seinem umfassenden Verständnis, was Kunst ist, radikal modern."

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bedauert Hermann Nitschs Tod als „großen Verlust für die heimische und internationale Kunstszene“. "Ihn bloß als bedeutenden Maler zu bezeichnen, wäre ganz falsch, hatte er doch immer das Gesamtkunstwerk, bestehend aus Malerei, Musik, Theater und Performance, im Auge. Und er war als unverwechselbares Künstler-Original auch immer selbst Teil dieses Gesamtkunstwerks.“

Ludwig weiter: „Zunächst als ,Blutkünstler‘ bekämpft und angefeindet, schaffte es Nitsch durch Konsequenz und Hartnäckigkeit, aber auch durch die große Vielfalt seiner Kunst zu einem der weltweit wichtigsten Künstler unserer Stadt und unseres Landes zu werden.“

Auch NEOS-Kultursprecherin Julia Seidl zeigt sich tief betroffen: „Ich habe Nitsch durch seine Arbeiten immer als einen durch und durch mutigen Menschen wahrgenommen. Ein Künstler, der sich von nichts und niemandem abbringen ließ, mit seinen Arbeiten die Menschen emotional zu berühren und aufzuwühlen, zu begeistern und zu provozieren und damit zum Nachdenken anzuregen. Seine Arbeiten haben auch in mir viel Kontroverses ausgelöst. Gefühle, die ich oft schwer einordnen konnte, die jedoch nachhaltig wirken."

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) würdigte Nitsch als "Personifikation der österreichischen Aktionskunst". Bis in die Gegenwart habe er "durch seinen innovativen Geist" fasziniert. "Dass er sein 6-Tage-Spiel nicht mehr erleben kann, schmerzt sehr", schrieb Schallenberg auf Twitter.

29. August 1938

Hermann Nitsch wird in Wien geboren

1960

Aktions- und Ausstellungstätigkeiten beginnen, die in weiterer Folge auch mehrere Prozesse und Haftstrafen nach sich ziehen

1962

Die erste Aktion von Nitsch, bei der er sich selbst kreuzigt und überschüttet

1966

Teilnahme am "Destruction in Art Symposium" in London

1971

Ankauf von Schloss Prinzendorf in Niederösterreich

1972

Teilnahme an der documenta V in Kassel

1973

Mit dem Pfingstfest wird auch das Orgien Mysterien Theater eröffnet sowie der Verein zu dessen Förderung begründet

1975

Nitsch nähert sich mit seiner 24 Stunden dauernden 50. Aktion seinem Vorhaben eines 6-Tage-Spiels an

1984

Auszeichnung mit dem Österreichischen Kunstpreis für bildende Kunst

1988

Teilnahme an der Biennale in Sydney sowie die erste große Retrospektive im Lenbachhaus in München

1989

Beginn der Lehrtätigkeiten in Frankfurt (Hochschule für bildende Kunst) und Salzburg (Sommerakademie)

1995

Ausstattung der Oper "Herodiade" von Jules Massenet an der Wiener Staatsoper

1998

Aufführung des 6-Tage-Spiels im und um das Schloss Prinzendorf (gleichzeitig die 100. Aktion), das für große Aufregung und intensive mediale Berichterstattung sorgt

2001

Ausstattung der Oper "Satyagraha" von Philip Glass im Festspielhaus St. Pölten

2005

Auszeichnung mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für bildende Kunst

2007

Eröffnung des Nitsch Museums in Mistelbach

2008

Eröffnung des Museo Nitsch in Neapel

2017

150. Aktion im Rahmen des "Dark Mofo Festivals" in Tasmanien

2018

Eröffnung der Ausstellung "Leben und Werk" im Nitsch Museum in Mistelbach anlässlich des 80. Geburtstages des Künstlers

2021

Live-Gestaltung einer semiszenischen "Walküre" bei den Bayreuther Festspielen durch Schüttbilder auf der Bühne

2022

Tod am 18. April im Krankenhaus Mistelbach. Die ersten beiden Tage des 2021 coronabedingt abgesagten 6-Tage-Spiel sollen am 30. und 31. Juli dennoch stattfinden

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