Popmusik bot schon immer vor allem eines: einen Rettungsring im aufgewühlten Meer der Emotionen, durch die sich der heranwachsende Fan arbeiten muss. Diese emotionale Stützleistung wird bei den aktuellen großen Stars besonders hervorgekehrt: Die Fans von Taylor Swift, aber natürlich auch von Adele fühlen sich besonders innig mit ihren Idolen verbunden und lesen die Songs als Wegweiser und Tagebuchvorlage gleichermaßen.
Die Sängerinnen bieten Trost und Rat (und ein Ventil zum Ablassen der Angespeistheit auf die ehemaligen Lebensabschnittspartner). Das ist für viele Fans wichtig und hilfreich - und, ganz unzynisch, schön zu beobachten: So persönlich und liebesverklärt war die Beziehung zwischen Fan und Idol kaum je.
Aber wie alle Beziehungen umgibt auch diese eine Realität, die ein teils anderes Bild zeichnet. Die gerade die "Eras"-Tour von Taylor Swift (nächster Stopp: 8. bis 10. August in Wien) und die nun startenden zehn Konzerte von Adele in München dokumentieren: Beim Geld hört die Liebe dann doch rasch wieder auf. Das zeigt sich in vielerlei Hinsicht bei ganz vielen Popacts - aber derzeit besonders exemplarisch an den beiden aktuell live spielenden Superstars.
Viele Konzerte an einem Ort sind vor allem eines: Gewinnmaximierung
Drei Mal spielt Taylor Swift in Wien, gleich vier Mal hintereinander treten Coldplay demnächst ebenfalls im Happel-Stadion auf - Adele toppt das locker: Gleich zehn Mal (!) spielt die erfolgreiche Britin zwischen dem 2. und 31. August auf der eigens für sie entworfenen und aufgebauten Bühne in der Münchner Messestadt. Das ist einerseits gut für das Marketing: Derartige Konzertreihen sorgen für mehr mediale Aufmerksamkeit als ein Einzelkonzert. Und es dokumentiert den Star-Status: 740.000 Menschen sollen Adele in München sehen. Diese Nachfrage zeige, was für ein großer Star hier aufspielt.
Derartige Konzertreihen dienen aber auch etwas anderem, weit weniger Sympathischen: dem Umwälzen von Kosten auf die Fans. Denn die Acts sparen viel Geld - das dafür die Konzertgeherinnen und -geher ausgeben müssen. Auf- und Abbaukosten sind ein wesentlicher Faktor auf Tourneen. Drei, vier, zehn Konzerte an einem Ort sind hier natürlich wesentlich günstiger: Man baut ein Mal auf und ein Mal ab - und hat die x-fachen Einnahmen. Darüber hinaus spart man sich den Transport der Bühnenkonstruktion - und kann die größten Locations ausnützen, anstatt eventuell kleinere Arenen auf den Tourplan nehmen zu müssen.
Auf den Kosten bleiben dann die Fans sitzen. Wer Adele sehen will, muss aus ganz Europa nach München reisen - also Transport, Hotel und dazu noch das Ticket zahlen. Die Fans kommen zu den Stars, nicht die Stars zu den Fans.
Die Wien-Konzerte Taylor Swifts etwa sind die östlichsten in Europa, es steht zu erwarten, dass zahlreiche Fans aus Osteuropa nach Wien reisen. Und nicht nur die: Bei vielen Europa-Konzerten sind auch amerikanische Fans dabei. Für sie ist es billiger, nach Europa zu fliegen, ein Hotel zu buchen und die Tickets zu kaufen, als in Amerika zum Konzert zu gehen.
Die Acts rühmen sich dann gerne der hohen Wertschöpfung, die sie den Städten bringen, des Tourismusaufschwungs und der ausgebuchten Hotels. Aber "Wertschöpfung" ist ein anderes Wort für: Die Fans müssen viel Geld ausgeben.
Der Ticketverkauf ist eigentlich ein Affront
Es gibt kaum einen Kaufvorgang, der so kaputt ist, wie bei Popmusiktickets. Obwohl man hier wirklich gutes Geld bezahlt, wird man zum Bittsteller degradiert, der froh sein muss, wenn er eine Karte ergattert. Und wer nicht zu einem vom Veranstalter vorgegebenen Termin Gewehr (und Kreditkarte) bei Fuß steht und, pardauz, das Ticket vielleicht nach der Arbeit oder geruhsam am Wochenende kaufen will, der hat natürlich keine Chance mehr: Begehrte Konzerte sind so gut wie sofort ausverkauft, und wer dann noch an ein Ticket will, muss am Sekundärmarkt hohe Gebühren entrichten - und dann auch noch wie ein Zirkustier vor dem Veranstalter Kunststücke vollführen.
Der Ticketverkauf ist in den Händen einiger Monopolisten, am größten, aber nicht alleine in der Kritik: Live Nation/Ticketmaster. Hierfür fusionierten ein Veranstalter und eine Ticketplattform zu einem Quasi-Monopol. Und der neue Riese ist in den USA mit seinen Geschäftsmethoden ins Visier der Politik geraten - und zwar bei Taylor Swift: Der Andrang auf die Tickets für ihre US-Tour 2023 war so gewaltig, dass die Ticketmaster-Server in die Knie gingen. In Folge wurden Ticketmaster Preisabsprachen, ungerechtfertigte Gebühren und Täuschung vorgeworfen. Es gibt ein Antimonopol-Verfahren in den USA.
Dennoch kooperieren Acts wie Taylor Swift weiter mit der Firma - weil sie müssen, sagen sie, denn via Live Nation beherrscht Ticketmaster auch die Veranstaltungsorte in den USA. Dennoch fragt man sich, warum Swift - die bekanntermaßen ihre eigene Musik neu aufgenommen hat, um sich nicht fremdbeherrschen zu lassen - hier nicht ihren gewaltigen Ruhm ausnützt, um sich auf die Seite der Fans zu stellen: Sie hätte, denkt man sich, die Macht im Business, um mitzuhelfen, dieses gegen die Fans gerichtete System abzuschaffen.
Derzeit jedenfalls gingen zahlreiche Fans enttäuscht aus dem Kaufprozess heraus. Wer nachträglich ein Ticket ersteht (Vorsicht, große Betrugsgefahr, man sollte hier wirklich sicher sein, von wem man etwas kauft), muss das wiederum beim Veranstalter personalisieren lassen. Um Betrugsgefahr einzudämmen, heißt es. Die beste Art, das zu tun, wäre übrigens, den Ticketverkauf vernünftig zu gestalten.
Das Ding mit dem zweiten Album
Dass große Acts ihre Livekonzerte so sehr auf Verdienst trimmen, liegt auch daran, dass man mit Musikverkauf immer weniger Geld macht: Dank Streaming sind hier die Einnahmen radikal zurückgegangen, und nur noch die größten Fans kaufen Alben. Da ist es dann besonders problematisch, wenn man genau diese Fans vor den Kopf stößt - wie Taylor Swift das gleich zwei Mal machte.
Denn sowohl beim "Midnights"-Album (2022) als auch beim aktuellen Longplayer "The Tortured Poets Department" (2024) verärgerte sie einige jener treuen Fans, die dieses Album vorbestellten, sprich sich schon vor dem Erscheinen zum Kauf verpflichteten, und jener, die zum Erscheinungstermin um Mitternacht gleich zuschlugen. Denn beide Male reichte Swift kurze Zeit später - bei "Midnights" um 3 Uhr früh - ein erweitertes Album nach - mit doppelt so vielen Songs wie beim ersten. Sprich: Die Fans haben ein Album gekauft, ohne zu wissen, dass wenig später ein umfangreicheres angeboten wird. Und müssen nun entweder das zweite auch kaufen - oder sich ärgern, ein schlechteres Produkt erworben zu haben.
Aber wie das so ist bei Liebesbeziehungen: Diese Unebenheiten werden von den Fans in Kauf genommen. Größer und beliebter als Swift ist derzeit niemand im Popbusiness, und auch Adele hat eine fanatische Fangemeinschaft, die sich über die Konzerte freut. Denn was alles nicht gepasst hat in einer Beziehung, das resümiert man zumeist erst bei der Trennung. Aber auch für diesen Moment bieten die beiden viele passende Songs.
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