Und wie das mit derartigen Institutionen so ist, stets verlässlich mit all den seit 40 Jahren ritualisierten Elementen, die die Fans lieben und feiern: Da sind die rot blinkenden Teufelshörner auf einem Haarreifen, die man für 20 Euro am Merchandising-Stand vor dem Happel-Stadion kaufen konnte - was ¾ der Besucher gemacht haben. Da sind die Wände von Marschall-Verstärkern (oder Attrappen davon), die den Bühnenhintergrund bilden. Da ist Johnson mit seiner obligatorischen Kappe und dem ewigen spitzbübischen Grinsen im Gesicht. Und natürlich Angus Young in seiner unverzichtbaren Schuluniform. Rot/weiß ist sie heute - vermutlich in Anlehnung an die Farben österreichischen Flagge.
Wie seit 50 Jahren rockt Young los, als gebe es kein Morgen, stakst mit den dünnen stockartigen Beinen, die unter der kurzen Hose rauschauen im „Duckwalk“ über die Bühne, oder stampft zwei Mal mit dem rechten Bein auf, während der Oberkörper nach vorne pendelt, dann zweimal mit dem linken, wenn er sich wieder aufrichtet.
All das tut sofort seine Wirkung, bringt das Happel-Stadion zum Kochen, während AC/DC sofort „Back In Black“, einen ihrer bekanntesten Songs, anschließen. Die abgehackten Powerakkorde mit den markanten Pausen und dem verbindenden Gitarrenriff, reißen dann auch die vom Sessel, die nicht schon fünf Minuten früher aufgesprungen sind.
Leider können AC/DC die perfekte Stimmung dieser Anfangsphase nicht durchgehend halten - auch wenn sie hier auf der Bühne eigentlich alles richtig machen. Geschickt schieben sie nach jedem unbekannteren Song einen Klassiker wie „Thunderstruck“ oder „Hells Bells“ (mit der ebenfalls institutionellen Glocke, die vom Bühnendach hängt) ein.
Sie sind perfekt im Zusammenspiel, obwohl von der Besetzung, die viele der Klassiker schuf, nur mehr Angus Young und Johnson übrig sind. An Schlagzeug und Bass dienen erst seit 2023 bzw. 2024 Matt Laug und Chris Chaney, und statt Gitarrist Malcolm Young, Angus‘ 2017 verstorbenem Bruder, spielt dessen Neffe Stevie Young. Die Drei halten sich unauffällig im Hintergrund, während Angus Young und Johnson vorne die riesige Leere der kahlen Bühne bespielen, betänzeln und bewandern.
Gedämpft wir die Stimmung in dieser Phase einerseits vom breiigen Sound (am ersten Rang klingt es drinnen in der der Toilette besser, als draußen bei den Sitzen), aber weit mehr noch von dem, was Kritiker AC/DC immer wieder ankreiden: Sie haben kaum Varianten in ihrem stark vom Blues beeinflussten Heavy-Sound. Die Riffs und die Rhythmen, auf die Songs wie „Shot In The Dark“ oder „Shoot To Thrill“ aufgebaut sind, ähneln einander zu sehr. Bis zur Hälfte vom Set hat man das Gefühl, Johnson hat bis jetzt nur drei Töne gesungen und den Rest in der immer gleichen Tonhöhe geschrien. Zusätzlich bremsen die oft zu langen stillen Pausen zwischen den Songs. Denn Johnson sagt nur kurz am Anfang Hallo zu Publikum und dann zwei Stunden nichts mehr.
Mit dem Hit „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ steigt die Stimmung aber sofort wieder an. Und spätestens mit dem melodiöseren „You Shook Me All Night Long“ ist sie wieder da, diese Anfangseuphorie und die Machtlosigkeit der Zuschauer gegenüber der Energie und der Spielfreude, die jetzt wieder so hör- und spürbar von der Bühne kommt. Young hat sich längts das Uniform-Sakko ausgezogen und sein Käppi abgelegt, läuft jetzt mit seinen Soli zur Höchstform auf. „Highway To Hell“ ist ein Gänsehautmoment, bei dem man in der Großaufnahme auf den LED-Schirmen deutlich sieht, mit welcher Hingabe Young seine turboschnellen Tonfolgen aus den sechs Saiten holt.
Noch überraschender: Sein über 20 Minuten langes Solo bei „Let There Be Rock“ wird nie langweilig. Anfangs lässt er sich dabei noch von der Band begleiten, kommt immer wieder zu einem Scheinende, hält dann die Hand zum Ohr, um die Fans zum Jubeln anzustacheln, und beginnt neu, wenn sie das tun. Einige Minuten lang spielt er so auf einer hydraulischen Hebebühne am Mittelsteg, und viele Minuten, als die Band in der Garderobe verschwunden ist, alleine auf einer Rampe über den Drums. Da zeigt er auch wie seine Soli aufgebaut sind, spielt die Arpeggios zuerst ganz langsam Ton für Ton und steigert das Tempo der Abfolge bis sie fast zu einem Akkord verschmelzen. Und wieder: Hand zum Ohr, Jubel und postwendend folgt noch eine Runde fingerflinker Saiten-Akrobatik.
In der Zugabe können AC/DC die Stimmung dann noch eine Stufe höher treiben. „T.N.T“ und „For Those About To Rock (We Salute You)” (komplett mit institutionellen Kanonenschüssen und dem Abschlussfeuerwerk) beenden eine zwar nicht durchgehend, aber über weite Strecken höchst unterhaltsame, energiegeladenen Rock-Show. Und die werden AC/DC am Mittwoch ein zweites Mal im Ernst-Happel-Stadion zeigen.
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