Gedenken an 7. Oktober: "Man mag die Juden nur im Museum"

Ofer Waldman und Sasha Marianna Salzmann
Ihre Korrespondenz hielt Ofer Waldman und Sasha Marianna Salzmann nach dem 7. Oktober aufrecht. Was die beiden heute über Antisemitismus und gescheiterte Erinnerungskultur denken.

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober des Vorjahres waren Ofer Waldman (lebt in Israel) und Sasha Marianna Salzmann (lebt in Berlin) ständig in Kontakt. Die Korrespondenz der befreundeten Autoren wurde erst zu einem Podcast, dann zu einem Buch. Am Samstag lesen beide im Schauspielhaus um 20 Uhr aus „Gleichzeit“ (Suhrkamp). Im Interview mit dem KURIER sprechen Sie über den Kampf der Sprache gegen die Normalität der Gewalt und über gescheiterte Erinnerungskultur.

Herr Waldman, wie haben Sie den iranischen Angriff am Dienstag erlebt?

Ofer Waldman: Es war heftig. Wir haben den Abend im Bunker mit den Kindern verbracht, Fenster und Wände haben ordentlich gewackelt. Es gibt einen Stützpunkt der israelischen Luftwaffe in unserer Nähe, der offenbar Ziel war. Die Rakete wurde zwar abgeschossen, aber selbst dieser Abschuss war dermaßen heftig, dass gefühlt die ganze Luft gebebt hat. Dieses vergangene Jahr ist sowieso wie eine undurchsichtige, zähflüssige zirkuläre Zeit. Wir haben schon einige solche Abende erlebt. Das reiht sich ein in diese endlose Folge immer schlimmer werdender Ereignisse, man kämpft darum, sie nach wie vor als unvorstellbar, als nicht normal wahrzunehmen, so dass dieser Kriegszustand, der nun fast genau ein Jahr dauert, nicht zur Normalität wird. Nicht das, was am 7. Oktober geschah, nicht das, was in Gaza seitdem passiert. Nichts davon. Denn in dem Moment, in dem Krieg zur Normalität wird, werden auch Sachen, die im Krieg passieren, Normalität. 

In ihren Briefen kurz nach dem 7. Oktober schreiben Sie darüber, dass die Sprache der Welt nicht mehr gerecht wird. Hat sich dieser Zustand geändert?

Waldman: Ich möchte die Frage anders drehen: Ist es zulässig, keine Sprache zu finden? Und wenn man keine Sprache oder Worte dafür findet, werden andere sie finden? Wir müssen die Realität im Norden Israels, in Gaza, im Süden Libanons, auf den Straßen Berlins oder Wiens mit schmerzhaft offenen Augen anschauen. Viele unserer künstlerisch tätigen Freundinnen und Freunde laufen mit wund offenen Augen durch die Welt. Es ist eine Pflicht, Worte dafür zu finden. 

Sasha Marianna Salzmann: Wir haben das Schreiben. Ich bin enorm dankbar für diese Möglichkeit, Worte suchen zu müssen. In den diversen Trauererfahrungen, die wir in den letzten Jahren durchmachen mussten, hab ich gelernt: Es geht gar nicht darum, das Richtige zu sagen, das Richtige hat sich erübrigt. Es gibt kein Richtig mehr. Es gibt auch kaum mehr angemessene Worte. Was es gibt, sind Worte als Handreichung, als Versicherung, dass man da ist. Die Welt ändert sich jetzt alle paar Stunden. Es ist brandgefährlich, nach den Guten und nach den Bösen zu suchen. Das einzige Mittel ist die Veranschaulichung, das Hörbarmachen der Stimmen aus diesen Krisengebieten.

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