Antisemitismus: Jeder dritte Jude erwägt, Österreich zu verlassen

Antisemitismus: Jeder dritte Jude erwägt, Österreich zu verlassen
Laut einem aktuellen Bericht fühlen sich 80 Prozent der Juden durch den wachsenden Antisemitismus in der EU bedroht.

Die große Mehrheit der Jüdinnen und Juden in Europa ist nach wie vor im Alltag von Antisemitismus betroffen.

Zu dem Schluss kommt eine Erhebung der EU-Agentur für Grundrechte (FRA), die noch vor dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden Offensive der israelischen Armee im Gazastreifen durchgeführt wurde. 

80 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass der Antisemitismus in den fünf Jahren vor der Umfrage zugenommen hat. Unter den Teilnehmern in Österreich sahen dies 76 Prozent so. Für das Jahr vor der Untersuchung berichteten 38 Prozent hierzulande, Opfer von antisemitischen Anfeindungen geworden zu sein - ähnlich wie im EU-Schnitt. Fünf Prozent wurden in dem Jahr zudem angegriffen.

Sicherheitsbedenken in der Öffentlichkeit

Diese Erfahrungen führen dazu, dass viele Menschen sich gezwungen sehen, ihr Jüdisch-Sein in der Öffentlichkeit zu verbergen. In Österreich tragen 29 Prozent der Juden wegen Sicherheitsbedenken öffentlich nie jüdische Symbole. Unter allen Studienteilnehmern waren es gar 48 Prozent. Bei 66 Prozent (EU: 76 Prozent) war dies zumindest gelegentlich der Fall. 

70 Prozent der Befragten fühlten sich zumindest gelegentlich aufgrund ihres Jüdisch-Seins für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht (EU: 75 Prozent). Europaweit sahen das drei Viertel der Studienteilnehmer so.

  • Zunehmender Antisemitismus: 80% der Befragten sind der Meinung, dass der Antisemitismus in ihrem Land in den fünf Jahren vor der Umfrage zugenommen hat.

  • Hass im Internet: 90% der Befragten sind online mit Antisemitismus konfrontiert worden. 

  • Antisemitismus in der Öffentlichkeit: 56% der Befragten wurden offline von Bekannten mit Antisemitismus konfrontiert und 51% stießen auf antisemitische Inhalte in den Medien.

  • Antisemitische Belästigung: 37% der Befragten gaben an, im Jahr vor der Befragung aufgrund ihrer jüdischen Identität belästigt worden zu sein.

  • Krieg im Nahen Osten: 75% der Befragten geben an, dass sie für die Handlungen der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden, weil sie Juden sind.

  • Leben im Verborgenen: 76% verbergen zumindest gelegentlich ihre jüdische Identität. 

  • Auswanderung: Fast die Hälfte der Befragten (45%) hat in den letzten fünf Jahren vor der Befragung an Auswanderung gedacht. In Österreich waren es 31%

"Jüdisches Leben stark eingeschränkt"

"Europa erlebt eine Welle des Antisemitismus, die teilweise durch den Konflikt im Nahen Osten angeheizt wird", warnt die FRA-Direktorin Sirpa Rautio in einer Aussendung zum Bericht. "Dadurch wird die Möglichkeit eines sicheren und würdevollen jüdischen Lebens stark eingeschränkt."

Es ist der dritte FRA-Bericht zu Antisemitismus. Dafür wurden in der ersten Jahreshälfte 2023 rund 8.000 Jüdinnen und Juden aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Spanien, Tschechien und Ungarn befragt. Laut der EU-Agentur leben 96 Prozent der Juden in der EU in diesen 13 Ländern. In Österreich wurden 363 Menschen befragt. Die jüdische Bevölkerung hierzulande schätzt die Agentur auf 13.650.

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