150 Jahre Staatsoper: Roščić - "Verfügen über Wunderwaffen"

150 Jahre Staatsoper: Roščić - "Verfügen über Wunderwaffen"
Der künftige Direktor der Wiener Staatsoper, Bogdan Roščić, zur Zeit noch Klassik-Chef bei Sony Music, über den Intendantenjob, Repertoire, Zeitgeist und Touristen.

KURIER: Sie übernehmen im September 2020 die Leitung der Wiener Staatsoper. Verraten Sie uns doch ein paar Details Ihrer ersten Saison! Bogdan Roščić: Im Frühjahr 2020 wird es in der Oper auf offener Bühne eine Spielplan-Präsentation für das Publikum geben, da sind auch Journalisten willkommen. Bis dahin bitte Geduld.

Sehr schade. Können Sie uns zumindest sagen, was Oper 4.0 bedeutet – jener Begriff, der bei Ihrer Bestellung gefallen ist?

Da muss ich leider passen. Ich habe den Ausdruck in Bezug auf Oper nie verwendet.

Braucht Oper nicht dennoch eine Vision und Positionierung in unserer Zeit?

Die braucht sie unbedingt, aber das hat ja mit Ordnungszahlen aus der Sphäre des technologisch aufgerüsteten Geldverdienens nichts zu tun.

Wie könnte die aussehen?

Zum Beispiel als Gegenwelt zu den technokratischen Heilslehren der Automatisierung, Rationalisierung, Vernetzung gegen den Willen der Vernetzten und allem Anderen an Industrie 4.0, was man sich nicht als Initiative zur Steigerung der Lebensqualität vorstellen sollte.

Vielen jungen Menschen ist Oper egal. Die schauen lieber Netflix. Ist die Schlacht verloren?

Wie soll einem etwas wichtig sein, an das man nicht mehr herangeführt wird, dessen Magie einem nicht mehr gezeigt wird, das gar nicht Teil des eigenen Lebens werden kann ohne ein mittleres Wunder an Umständen und Zufällen? Wir werden in dieses Problem extrem viel Energie stecken, nur ist es eine gesellschaftliche Lücke, die die Oper alleine nicht schließen kann. Aber wir verfügen über Wunderwaffen. Niemandem, der einen auf der Höhe des Werkes ausgeführten „Don Giovanni“ erleben darf, bleibt Oper egal.

An wen richtet sich Oper heutzutage, außer an Wien-Touristen? Und wie wichtig ist Ihnen die internationale Strahlkraft?

Natürlich ist das wichtig. Aber es heißt nicht, dass das Haus sich bewusst an Touristen richten soll oder gar nach ihnen. Sondern es hat täglich höchste Qualität zu bieten, alles Andere passiert fast von selbst. Die Touristen kommen ja wegen dem, wofür die Staatsoper steht, nach Wien. Alle sind am Haus herzlich willkommen, und am herzlichsten dann, wenn sich ihr Beitrag nicht darauf beschränkt, für vier Euro Stehplatzkarten zu kaufen, um das Haus mal von innen zu sehen, sich dort störend zu verhalten und in der Pause zu gehen. Aber die Staatsoper hat den Dialog zunächst einmal mit jenen zu führen, die sie erhalten, das sind alle Österreicherinnen und Österreicher, ohne jegliche Einschränkung.

Die Wiener Staatsoper ist weltweit das letzte nennenswerte Haus, das Repertoiretheater in dieser Üppigkeit anbietet? Wird dieser Weg unter Ihnen fortgesetzt? Wenn ja warum?

Rekorde bei der Üppigkeit des Angebots strebe ich nicht an. Aber das Repertoire-System ist am Anfang mein wichtigstes Thema. Natürlich steht es nicht in Frage, das lässt das zuständige Gesetz ja gar nicht zu. Aber ich halte es unabhängig davon für etwas Kostbares. Zunächst schützt das Repertoire-System ein Haus vor dem, was man verharmlosend Zeitgeist nennt und auch vor den Eitelkeiten und blinden Flecken dieses oder jenes Direktors. Es erzwingt eine gewisse Kontinuität, und das ist gut so. Vor allem wächst das Repertoire-Theater über Einzelereignisse hinaus, weil es dem Publikum eine tiefere, längerfristige Bindung anbieten kann. Es schafft ein gemeinsames Gedächtnis und einen Referenzrahmen, es gibt allen an den Vorstellungen Beteiligten die Gelegenheit, sich in der Pflege verschiedener Werke zu bewähren, zu entwickeln, zu steigern... Es schafft jenes Publikum, das eine Vorstellung nicht einfach nach Namen, sondern nach tatsächlicher Leistung beurteilen kann. Und nur das Repertoiretheater kann einem neuen, jungen Publikum die Gelegenheit bieten, ohne allzu hohe ökonomische Barrieren immer wieder den Meisterwerken zu begegnen, die man erst nach längerer Auseinandersetzung überhaupt in ihrem ganzen Wert erfasst.

Stagione sorgt aber für viel mehr Aufmerksamkeit in einer Zeit, in der diese Währung am relevantesten scheint ...

Das ist nicht gesagt. Es hindert niemand die Staatsoper daran, die glanzvollsten Premieren der Opernwelt zu produzieren. Die Frage ist, was verloren geht, wenn es nur noch Gala-Getrommel gibt, wenn Oper völlig der Event-Logik unterworfen wird. Es liegt eine Gefahr darin, jede Karte als Anrechtschein auf die besten Markenartikel der Opernwelt zu sehen und auf sozusagen offiziell garantierte Höchstleistungen. Die, selbst wenn sie tatsächlich stattfinden, gar nie wiederkommen können, sonst wär’s ja nicht „exklusiv“. Adorno hat schon vor 50 Jahren gewarnt vor dem Kult des „zufällig Zusammengebrachten, das in aufgeputschten Gala-Abenden triumphiert“. Es wird da und dort gegen die Repertoire-Oper polemisiert. Aber sie ist von höchstem gesellschaftlichen Wert. Man muss sich nur der Mühe unterziehen, das Repertoire-System so zu führen, dass der Druck der täglich wechselnden Vorstellung nicht die Qualität des Gebotenen zerreibt. Das ist die größte Herausforderung, und da hat jede Direktion ihre eigenen Ideen.

Wie wichtig ist für Sie der Starbetrieb an einem Haus wie der Staatsoper, an dem Probenmöglichkeiten limitiert sind, weshalb viele Größen nicht regelmäßig oder gar nicht kommen?

Es ist derzeit eher so, dass viele Häuser mit dem „Starbetrieb“ kämpfen, um längere Probenzeiten zu bekommen. Aber der Starbetrieb hat der Staatsoper ohnehin gleichgültig zu sein. Was sie am Haus haben muss, sind die jeweils Besten ihres Fachs. Die schlechten Probenbedingungen in Wien sind zum Teil aber auch die zäheste Ente der Opernwelt. Natürlich diktiert der Rhythmus des Repertoire-Betriebs gewisse Rahmenbedingungen. Die Kunst ist, sich davon nicht verbiegen zu lassen.

Müssen die traditionellen Staatsopernbesucher Angst vor der Direktion Roščić haben?

Erstens ist zu Tode gefürchtet auch gestorben. Zweitens – es gibt ja gar keine homogene Gruppe der „traditionellen Staatsopernbesucher“. Es gibt immer nur die Einzelnen, auch wenn von denen jede und jeder natürlich meint, für „das Wiener Publikum“ schlechthin zu sprechen. Da gibt es gut und schlecht Informierte, Neugierige und Vernagelte, Fetischisten und Analytiker, Sado und Maso, kunstsinnige Experten und bösartige Philister, die glauben, mit dem Erwerb einer Karte das Recht gekauft zu haben, sich über die Intimsphäre von Sängern den Mund zu zerreißen. Viele schreiben mir Briefe.

Und die Kritiker? Wie wichtig ist Ihnen das Feuilleton, aus dem Sie auch selbst kommen?

Ein funktionierendes Feuilleton mit Autoren von Rang ist von großer hygienischer Bedeutung für das Kulturleben eines Landes. Wie schlecht dem Feuilleton zuviel Einfluss bekommt, wo es dann gleich Kulturpolitik betreiben möchte und zur Intrige verkommt, wurde vielleicht nirgendwo so intensiv sichtbar wie schon vor Jahren in Wien. Aber das ist nun, mit einer Ausnahme, vorbei. Und dieser Einfluss findet sowieso immer nur in den Köpfen der Handvoll tatsächlich handelnder Figuren statt. Darum ist oberstes Prinzip – die Direktion des Opernhauses darf nie, aber schlechterdings nie, auf die vermuteten Reaktionen der Presse schielen oder gar setzen.

Die Wiener Staatsoper feiert ihr 150-Jahr-Jubiläum. Was sind Ihre eigenen ersten Erinnerungen an dieses Haus?

1978, Zeffirelli-Carmen mit Kleiber im Fernsehen. FS 2! Musikalisch eine Sternstunde. Die Inszenierung bestand aus gefühlt 500 kettenrauchenden Statisten, da staunt der 14-Jährige.

Welche Eindrücke wollen Sie bei jemandem hinterlassen, der jetzt das Haus zum ersten Mal betritt?

Offenheit, Freundlichkeit, Neugier, Ernst, Stil und eine selbstverständliche Qualität in Allem.

Jeder Direktor der Staatsoper, noch viel mehr jeder Musikdirektor, hatte mit riesigen Problemen zu kämpfen. Es heißt, dieser Job macht nicht glücklich. Warum machen Sie das trotzdem?

Ich will nicht glücklich sein, sondern eine Arbeit machen, deren Wert mich begeistert. Wenn die Probleme es wert sind, gelöst zu werden, muss man für sie dankbar sein. Wer das nicht hinkriegt, ist weder dem Haus noch dem Publikum zumutbar. Chailly hat mich einmal einem Bekannten von ihm als designierten Direktor der Staatsoper extra trocken vorgestellt mit: „Lui ha scelto di soffrire.“ – also ungefähr: „Er hat das Leiden gewählt.“ Ich hab’s als Kompliment genommen.

So gut wie alle Ihre Vorgänger hatten mit Verträgen für die unterschiedlichen Gruppen, von Orchester bis Techniker, zu kämpfen. Wie sehr können Sie Ihren Job überhaupt künstlerisch ausüben?

Nur Letzteres zählt, und daher muss man es sich erkämpfen. Die Position hat schon ein einzigartiges Profil. Einerseits muss man als typischer CEO-Entscheidungsroboter einen Betrieb mit 1.000 Leuten führen, andererseits muss man die inhaltliche Richtung, den entscheidenden Entwurf eines öffentlichen Kulturinstituts vorgeben. Die korrekte Bezeichnung der Position ist ja „künstlerischer Geschäftsführer“.

Ihre erste Bestellung war die Inthronisation von Philippe Jordan als Musikdirektor. Was versprechen Sie sich von ihm?

Das Haus bekommt durch Philippe viele Abende von höchster musikalischer Güte, und ich bekomme einen Partner bei der Führung des gesamten musikalischen Bereichs. Die Qualität eines Theaters entsteht ja nicht erst in der einzelnen Vorstellung, sondern in einer kontinuierlichen, hartnäckigen Arbeit an tausend Details, die große Momente möglich macht.

Prima la musica o prima le parole? Oder gar die Regie?

Das Unheil beginnt, wenn man diesen Gegensatz überhaupt erst aufmacht. Opern-Libretti zerrinnen ohne die darauf komponierte Musik zu Nichts. Aber nicht, weil man zu Besserem nicht fähig war, sondern weil sie geschrieben wurden, um sich mit komplexer Musik überhaupt verbinden zu können. Zusammen ergeben sie das Musikdrama, das nur dargestellt werden kann in einer Einheit von Musik und kongenialem Theater. Das macht die Sehnsucht nach dem rein kulinarischen Operngenuss so unsinnig. Die Staatsoper muss nicht nur musikalisch brillieren, sondern Theater auf höchstem Niveau bieten, für Konzerte in Kostümen ist sie nicht da.

Die Wiener Staatsoper war und ist immer auch ein Haus der Repräsentation. Wie geht es Ihnen mit dem politischen Umfeld bzw. wie sehr verstehen Sie Ihren Job auch politisch?

Die Wiener Staatsoper heißt deswegen so, weil der Staat dafür sorgt, dass es sie gibt und nicht, weil sie für politische Selbstdarstellung da wäre. Ihre inhaltliche Unabhängigkeit ist genau genommen schrankenlos. Was das Politische betrifft: Es wäre lächerlich zu glauben, das ist außerhalb des Aktionsradius der Oper. Aber die Theaterwelt muss auch ihren zum Teil verantwortungslosen Umgang mit dem Etikett reflektieren. Das pickt sich, vor allem in Deutschland, mancher gerne für oberflächlichste Auseinandersetzungen auf und trivialisiert damit letztlich nur, was Politik wirklich ist. Politische Kunst hat nichts damit zu tun, dass wohlmeinende Menschen von den Theaterbühnen ihre Tugendhaftigkeit verkünden – wenn auf diesem Wege etwas auszurichten wäre, hätten wir seit Jahrzehnten ein Paradies der Toleranz und Gerechtigkeit. Politisch ist die Kunst, wenn sie die Wahrheit sagt. Das ist sehr viel. Aber Kunst ist nicht Agitation, und wer tagespolitisch direkt etwas bewegen will, muss Politik machen, statt erschwindelte Brisanz zu beanspruchen für irgendwelche Kinkerlitzchen, von denen außerhalb des Opernhauses niemand je was bemerkt.

Haben Sie schon Ihren Frack für den Opernball bzw. wie wird es mit diesem Event weitergehen?

Der Opernball macht bekanntlich dort weiter, wo der Falstaff endet, also bei „Als Narr ist der Mensch geboren“. So gesehen ist er eine wichtige Produktion der Wiener Staatsoper und hat als solche hervorragend gemacht zu sein. Ansonsten halte ich es mit den schönen Worten der Wiener Moralphilosophin Lotte Tobisch, die über den Opernball einmal sagte: „Es gibt Menschen, die glücklich sind, wenn sie da hingehen können. Ich mache gerne Menschen glücklich.“

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