Wiener Ansichten: Schlecht für die Moral

Der öffentliche Raum ist ungleich verteilt. Fußgänger haben zu wenig Platz. Das wirft auch Fragen nach Anstand und Moral auf.
Barbara Beer

Barbara Beer

Haben Sie gewusst, dass Hietzing einst einen KPÖ-Bezirksvorsteher hatte? Zugegeben, lange her. Nachzulesen in einem wunderbaren Buch: „Hietzing zwischen gestern und morgen“ von Helga Gibs. Die Autorin ist schon lange verstorben, das Buch längst vergriffen. Es gehört dringend wieder aufgelegt.

Unter anderem, weil es von kostbaren Ortsnamen wie dem „Sauzipf“ berichtet. So wurde Auhof einst wegen des hohen Bestandes an Wildschweinen genannt. Demnächst wird dieser von parkenden Autos übertroffen. Hietzing ist ja bekanntlich immer noch ohne Parkpickerl, was dazu führt, dass die Gegend ab der Wiener Westeinfahrt schon frühmorgens von Pendlern befahren und verparkt wird.

Es sind jedoch selbstverständlich nicht nur die allmorgendlich Zugereisten, die die 30er-Zonen hier in der Vorstadt großflächig ignorieren. Wer zeitig zu Fuß unterwegs ist, trifft Zeitgenossen mit allen möglichen Kennzeichen, die etwa die Schlossberggasse für eine Autobahn halten. Unangenehm, weil hier der Gehsteig, wie schon oft moniert, sehr eng ist. Mit nahendem Schulbeginn wird’s wieder ärger. Viele Eltern trauen corona-bedingt den Öffis nicht und bringen die Kinder mit dem Auto in die Schule. Doch kaum ist der eigene Sprössling in der Schule, wird wieder Gas gegeben und die Sicherheit anderer Kinder zur Nebensache.

Gehwege, die so schmal sind, dass zwei Menschen kaum aneinander vorbeigehen können, sind im Übrigen auch schlecht für die Moral. Das zumindest befand der gefürchtete Ober St. Veiter Oberlehrer und spätere Gemeinderat Leopold Sommerer, der seinen Schülern verbat, den schmalen Fußweg von Ober St. Veit hinunter zur Aufhofstraße als Abschneider zu benutzen. Das Gasserl war und ist stellenweise so eng, dass eine gewisse körperliche Nähe zu anderen Passanten unvermeidlich ist. Zum Dank für die Bemühungen um den Anstand der Ober St. Veiter wurde der strenge Oberlehrer hier namentlich verewigt. Die Gasse heißt seit 1894 Sommerergasse.

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