Wiener Ansichten: Dreckige Begriffe
Auch unsere Gesellschaft ist zweigeteilt. Die eine Hälfte hält Spazierengehen für das Mittel der Wahl, um blauem Himmel und Sonnenschein zu begegnen. Die andere flüchtet vor zu viel Natur in die SCS. So geschehen am letzten schönen Samstag, bevor der zähe Hochnebel die Stadt für viele Tage fest umarmte. Bestimmt waren alle Bücher kaufen, die es ja bei uns im Gegensatz zu Frankreich auch jetzt, im Teil-Lockdown, noch zu kaufen gibt. Ich tippe auf Bachmann.
Literatur und Kunst sind bei uns im Redaktionskomitee ja oft Thema. Allein, die Kunst, auch das muss einmal gesagt werden, ist schön, aber macht viel Arbeit. Das wusste schon Karl Valentin. Ein anderer lustiger Deutscher, der Fotograf Helmut Newton (seine Frau nannte ihn „Helmi“), hielt sogar das Wort selbst für unmöglich: „Es gibt nur zwei dreckige Begriffe: Kunst und guter Geschmack“.
Also lassen wir das mit der Kunst für heute und wenden wir uns dem vergleichsweise Banalen zu: Der Unmöglichkeit, so oft und so viel Abstand zu halten, wie wir gerne würden. Die bis vor Kurzem einzig auf persönlicher Erfahrung beruhende Behauptung, dass Wiens Gehsteige zu schmal sind, hat die Bürgerinitiative „Geht doch Wien“ nun mit Daten belegt: 38 Prozent der Gehsteige sind schmäler als zwei Meter. Und ziemlich oft mit Hindernissen verstellt..
Auch eine weitere, im Redaktionskomitee oft diskutierte Vermutung, bestätigt sich nun: Dass man der Behauptung, es werde am Stadtrand so viel gebaut, um günstigen Wohnraum für Jungfamilien zu schaffen, getrost Skepsis entgegenbringen darf. Eine Umfrage unter 400 Investoren aus Deutschland, Österreich, Großbritannien und der Schweiz zeigt: Der Wiener Wohnbau ist zum Liebkind internationaler Investorenhäuser geworden. Und die haben mit günstigem Wohnraum eher wenig zu tun.
Wir vertrauen darauf, dass die Stadtregierung diesem Trend im Sinne der Wiener entsprechend kritisch entgegentritt. Auch wenn der neue Koalitionspartner gute Beziehungen zu einem Bauunternehmer hat.
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