Schuh geht essen: Rigoroses

Für alle Gäste gilt dasselbe: die Oberherrschaft des Obers.
Franz Schuh

Franz Schuh

Ich will eine Kindergeschichte erzählen, in der eine Suppe eine Rolle spielt. Zuvor aber tauche ich noch in die Erwachsenenwelt ab und erzähle eine selbsterlebte politische Anekdote. Restaurants sind Öffentlichkeiten, das heißt: Man sieht so Sachen ...

An einem Nebentisch saßen drei schöne Damen und ein Herr, der Abgeordneter zum Nationalrat war. Es war damals unter der alten Regierung, heute ist der Herr nicht mehr Abgeordneter. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen, er ist einfach verblasst.

Der Kellner fragte die Herrschaften, ob er schon etwas bringen dürfe. Entsetzt sagte der Abgeordnete: „Nein, nein, wir warten“, und er fügte tatsächlich hinzu: „Wir haben einen vornehmen Gast. ER wird gleich kommen.“

Ich habe einen Verdacht, wer ER war. Ich beschließe meinen restaurativen Beitrag zur Koalitionsbildung mit einer Sentenz des Philosophen Nietzsche: „Nichts ermüdet vielleicht so sehr als der Anblick eines beständigen Siegers.“

Von André Heller habe ich auch einen Satz. In einer seiner Geschichten steht: „Man wird als Kellner geboren.“ Mit einem vornehmen Kellner hatte ich ein Rencontre, eine Begegnung. Aus dem schönen Wort „Begegnung“ kann man die Gegnerschaft heraushören.

Es war in einem Café-Restaurant auf der Ringstraße, wo gegnerische Kellner besonders gedeihen. Sie haben unter den Gästen viele Touristen und die muss man ständig in die Schranken weisen. Wenn ein Einheimischer sich untersteht, etwas zu wollen, wird auch er nicht anders behandelt. Für alle gilt dasselbe: die Oberherrschaft des Obers.

„Bitte, Herr Ober, ich hätte gerne Ham and Eggs.“ Es war 14 Uhr an einem schönen Juninachmittag. Der Kellner sagte: „Gibt es nicht. Das gibt’s nur bis 11 Uhr: Frühstück!“ Ich lancierte den Einwand, dass man Ham and Eggs nicht ausschließlich zum Frühstück isst. Er: „Bei uns schon!“, und er definierte die Sachlage mit dem herrlichen Wort „rigoros“: „Da ist unsere Küche ganz rigoros!“

Es ist das Unvornehmste schlechthin, sich über das Personal zu beschweren. Beschämt wende ich mich meiner Kindheit zu. „Schlüsselkind“ – das ist ein Wort, das verschwunden ist. Im Lexikon kommt es noch vor, und zwar als „tagsüber (nach dem Schulunterricht oder Kindergarten) weitgehend sich selbst überlassenes Kind berufstätiger Eltern.“ Mir hat der Vater einen Zwanziger gegeben und zum Mittagessen frönte ich meiner Leidenschaft für Serbische Bohnensuppe.

Daran erinnere ich mich, wenn ich wieder einmal im karibischen Restaurant Comida die Schwarze Bohnensuppe löffle. Ich kann nur hoffen, dass sie gesünder ist als die Serbische, von der man in der Jugend leicht Akne bekommt, wenn man sie nicht eh schon hat. Alles hat eben seinen Preis. 4,90 kostet die Schwarze Bohnensuppe im Comida. Dafür heißt sie „Potaje de Frijoles negros“, was zur zutiefst philosophischen Frage führt: Ist die Suppe wirklich eine „potage“ oder doch eine „soupe“, und was zum Teufel ist die Serbische Bohnensuppe?

Restaurant Comida
1010 Wien, Stubenring 20
Tel. 01/512 40 24, comida.at
geöffnet: Montag bis Donnerstag 11.30 Uhr bis Mitternacht, Freitag und Samstag 17.30 bis 1 Uhr, Sonntag geschlossen

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