Darf man sich aus der Krise wegträumen? Man muss sogar!

Wenn wir wegen des Coronavirus' nur mehr aus dem Fenster schauen dürfen, sollten wir wenigstens bis zum Strand sehen.
Axel Halbhuber

Axel Halbhuber

Vor zwei Wochen stand an dieser Stelle, dass wir heuer trotz Corona reisen werden. Und ja, wahrscheinlich werden wir das, das Jahr ist noch lang und nach den kommenden Wochen bei Nudeln und Fertigsugo werden wir wieder in ein öffentliches Leben voll frischer Luft, sozialer Kontakte und aufregender Urlaubsmomente durchstarten. (Randnotiz: Eigentlich interessant, was die Menschen horten, wenn es um eine Krise geht, nicht Thunfisch und Basmatireis, auch nicht Tofu und Mandelmilch, sondern halt das, was man kennt, verlässliche Werte, Spaghetti Bolognese, wie damals im Kindergartenhort)

Aber jetzt ist eben einmal alles anders. Jetzt müssen wir uns in Geduld und Gelassenheit üben, nicht leicht bei all der Ohnmacht, die uns das Virus um die Ohren gefetzt hat.

Italien? Pfuibäh!

Für eine Publikation, die ihren Leserinnen und Lesern Woche für Woche vom schönen Reisen und guten Essen erzählt, wirft diese kollektive Ohnmacht laufend neue Fragen auf: Können und sollen wir Ihnen in dieser Zeit jene Orte zeigen, die wir alle aktuell nicht erreichen werden? Dürfen wir über jene kulinarischen Freuden reden, an die wir jetzt nicht unbedingt kommen? Ein Beispiel: Wir wollten Ihnen in dieser Ausgabe ursprünglich von den wunderbaren und unbekannten Seiten Cortina d’Ampezzos berichten. In dem italienischen Traditionsskiort hätte eigentlich am kommenden Wochenende das Ski-Weltcupfinale steigen sollen, nächstes Jahr ist dort die Ski-WM und in sechs Jahren ein Teil der Olympischen Spiele.

Als das Weltcupfinale abgesagt wurde, sagten wir: Trotzdem, wir zeigen unseren Leserinnen und Lesern das, was Sie nun doch nicht im Fernsehen sehen. Zwei Tage später die Sperre Italiens, samt Reisewarnung. Wir haben gegrübelt, uns aber schlussendlich gedacht: Jetzt über Cortina zu reden, zu sagen: wir zeigen, was wir gerade nicht bereisen können, wäre zynisch. Und Zynismus ist immer eine schlechte Idee.

Sehnsucht statt Sehen

Aber hinter diesen Gedanken steckt eine sehr grundsätzliche Frage im Leben: Wenn man in einer Krise steckt, darf man sich aus ihr wegträumen? Sich hineinflüchten in das Absurde, das Surreale, in den Humor? Oder ist es pietätlos, jetzt Pläne zu schmieden und Bilder anzuschauen von den Sehnsuchtsplätzen?

Ich glaube: Ja, wir dürfen. Und dieses Ja ist konsequent durchgedacht alternativlos. Jetzt, wo wir in der Einkehr verharren, jetzt brauchen wir Beschäftigung und Freude. Jetzt ist der richtige Moment für Reisedokus im Fernsehen und eben die langen Geschichten in der Zeitung, zu denen man sonst zu wenig oft kommt. Wer mit Ohnmacht geprügelt ist, hat zumindest Zeit.

Wozu sonst stehen wir als Menschen Krisen durch, wenn nicht, um sie hinter uns zu lassen.

Und bis wir die vielen Reiseziele wieder besuchen können, in die man nur per Menschenansammlung kommt, reisen wir vor der Haustüre. Alleine im Wald spazieren, das steht doch ohnehin auf jeder To-do-Liste, schauen Sie mal nach auf Ihrer eigenen, ganz unten, schon dreizehn Mal verschoben. Und wenn die Frühlingssonne durch das Blätterdach bricht, träumen wir.

Von der Zeit nach Corona. Sie wird kommen.

axel.halbhuber@kurier.at

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