Rabinowich geht essen: Würziger Kuchen des Lebens

Ohne Lebkuchen ist die Finsternis um mehrere Oktaven tiefer und dunkler.
Julya Rabinowich

Julya Rabinowich

Wer Augen hat, der sehe: Weihnachten biegt schon schwungvoll um die Ecke. Für eine besinnliche Zeit eventuell ein wenig zu schnell. Vielleicht bremsen wir wieder ein wenig ab, nehmen Speed raus und sagen: Weihnachten schleicht sich an. Die Garde der Weihnachtsmänner steht zwar schon bald bereit, aber ein bisschen Ruhe vor dem Sturm kann nicht schaden. Wer also Nase hat, der rieche: Zimtmandeln und saftige Lebkuchen sind schon da und duften stimmungsstark. Ohne Lebkuchen ist die Finsternis um mehrere Oktaven tiefer und dunkler. Lebkuchen ist die Kerze, die man in der Seele entzündet, wenn das Kerzenlicht von außen nicht mehr reicht, und wann reicht das Kerzenlicht von außen schon wirklich, wenn es Lebkuchen gibt? Was jetzt schon mit Karacho angekommen ist, während Weihnachten in Zimtmantel und Spekulatiuskleid gehüllt noch um die Ecke lugt, ist das öffentliche Bekenntnis zu Kitsch, Suff und Tollerei: Die Weihnachtsmärkte sind da! Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt, versenkt der durchschnittliche Besucher seinen Punsch und ab und an auch seine Selbstbeherrschung. Beim Weihnachtsmarkt Am Hof ist diese Selbstbeherrschung durchaus nötig, wen man zum Stand von Reschinsky kommt. Kein Punsch, aber Lebkuchen, Lebkuchen, Lebkuchen aller Art, Variation und Größe. Dabei fällt mir ein, dass die tschechische Freundin einer ungarischen Freundin Lebenskuchen zu der winterlichen Spezerei gesagt hat, und ich muss festhalten: Sie hatte eigentlich recht. Hier gibt es das volle Leben: Früchtelebkuchen, rechteckige Plateaus aus Teig gekrönt von Nüssen, Feigen, Datteln, Südfrüchten und Mandelstiften in ungewöhnlicher Symphonie, mit Marmelade gefüllt und mit feinster Schokolade getunkt. Aber das ist natürlich längst nicht alles! Beim Reschinsky öffnet sich ein Lebkuchuniversum in unendliche Weiten. Nugatlebkuchen, Gewürzlebkuchen mit Walnüssen, die Meranerschnitte aus Mürbteigboden mit Preiselbeermarmelade bestrichen, darauf eine saftige Haselnussmasse und eine dünne Schicht Marzipan, in feinster Kuvertüre (streng genommen kein Lebkuchen, aber sehr empfehlenswert). Orangeatlebkuchen oder Ötscherlebkuchen – gefüllt mit Nussmarzipan und Marillenmarmelade, bestreut mit kandierten Haselnüssen. Der delikate, geheimnisvoll schokoladendunkle Honiglebkuchen mit saftiger Orangenmarzipanfüllung. Oder der puristische Mostviertler-Lebkuchen in der reinsten Form ohne jeden Schnickschnack. Die absolute Qual der Wahl, die sich nicht einmal mit dem Erwerb eines kleinen Mixes unterschiedlicher Sorten zufriedengeben will. Wem das alles zu steil und lebkuchenfixiert ist, dem bleibt immer noch die riesenhafte Marzipankartoffel, die schon fast eine sehr kleine Kanonenkugel ist. Oder der picksüße Punsch. Ich rate allerdings zu den beiden anderen Attraktionen. Von einem Lebkuchenexzess ist noch niemand in des Teufels Küche gekommen. Und das zu Weihnachten.

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