Rabinowich geht essen: Herz an Powidltascherl
Das Schöne an Premierenfeiern sind die vielen kleinen Belohnungen. Die Komplimente. Die Geschenke. Die gegenseitig versicherte Wertschätzung. Und dann noch: das Lukullische, aka die Menüs und die Buffets. Weniger schön ist es, wenn man mit gierig beglückter Miene beim Reinschaufeln an ebendiesen erwischt wird. So für die Ewigkeit. Kameratechnisch. Schnell ist man zum Earl of Sandwich geschlagen, wie in England gerne jene genannt werden, die kulturelle Veranstaltungen nur wegen der vorgelegten Kulinarik besuchen. Aber eigentlich ist man über jeden Sandwich-Earl- Verdacht erhaben, wenn man selbst an dem Kunstprodukt mitgewirkt hat. Und dass unser Film, Herzjagen, jetzt vollendet und sogar mit Sendetermin ausgestattet worden ist, musste auch begossen und verzuckert werden. In der Gastwirtschaft Huth in der Schellinggasse, im Kellergewölbe mit den Ziegelsteinwänden. Alle waren sie da: Martina Gedeck, die mich zum Weinen gebracht hat.
Anton Noori, der ihren Gegenspieler darstellt. Ruth Brauer-Kvam. Rainer Wöss und Elisabeth Scharang und Kathrin Zechner. Wir freuten uns aneinander und spielten gleichzeitig ein bisschen „lukullische Reise nach Jerusalem“. Interviewt wurden wir nämlich der Reihe nach, während die drei Gänge aufgetragen wurden. Zwischen den Interviews konnte man immer wieder zu Tisch und kulinarischer Nahversorgung zurückkehren. Herzjagen handelt von absurdem Verlangen, von Todesangst und von Sehnsucht und einem Schuss Irrsinn, eingespannt zwischen Medizin und Spitalsapparatur. Dazu passend eröffnete ein blutiges, würziges Beef Tartare mit knusprigem Toast den Reigen. Es war so großzügig angelegt wie unsere Herzen, und eigentlich wäre hier schon fast Endstation erreicht worden, wenn nicht der Tafelspitz, weichgesotten und bei kleinster Berührung nachgebend – von einem halbrunden Gupf knusprigsten Kartoffelrösti mit Zwiebelchen begleitet – mit wirklich überzeugendem Aroma verführen würde. Der rindliche Verführer erschien in Gefolge eines fruchtigbrennenden Apfelkrens und einer im Gegenzug den Geschmacksnerv sanft beruhigenden, sattsämigen Schnittlauchsauce.
Jedoch: Ohne errungenen und gut bestiegenen Fettnäpfchen schaffe ich leider die meisten großen Empfänge nicht zu Ende zu bringen, wobei ich diese Fettnäpfchen wirklich nicht suche. Sie finden mich einfach. Immer. So auch hier. Für Fettnäpfchen bin ich einfach unwiderstehlich, ein immerwährendes Objekt der Begierde. Der Apfelkren und die Sauce wurden in großen Schüsseln serviert, die vor meiner Nase abgestellt wurden. Und die ich als mein mir großzügig zugedachtes Eigen betrachtete. Die aber eigentlich für alle gedacht waren. Was mir allerdings erst bewusst wurde, nachdem ich schon mit meinem Löffel weitläufig darin herumgerührt und herumprobiert hatte. Aber so zeigt sich auch, wie groß die vorübergehende Filmfamilie mit ihren Wahlverwandtschaften und situationselastischen Verbindungen ist – abhalten ließ sich niemand davon. Einer für alle, alle für einen, galt hier auch noch bis zum Eintreffen der Dessertvariationen auf mehrstöckigen Etageren, die sowieso dem hemmungslosen gemeinschaftlichen Verzehr zugedacht waren. Zwischen Kunstsinnigen und Tiefschürfenden warteten geduldig saftiger, leicht säuerlich beapfelter Apfelstrudel und Schokoladekuchen. Zwischen den Tellern: Schokoladeherzen mit Sendetermin handbeklebt. Und dazu noch halbmondförmige Powidltascherl in feinen gemahlenen Haselnüssen, begleitet von Zwetschkenröster. In Feldforschung unter Ganzkörpereinsatz erprobt ist seit diesem Abend auch: Umarmungen mit Powidltascherln sind noch intensiver als Umarmungen ohne diese.
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