Rabinowich geht essen: Die Wiege der Wonne

"Ich bin ja im geliebten Wien sowieso tiefwurzelnd ortsverbunden und kann dadurch locker Ausflüge in andere Esstraditionen machen", schreibt Autorin Julya Rabinowich.
Julya Rabinowich

Julya Rabinowich

Wenn man schreibt, dann wird man lektoriert. Und wenn man lektoriert wird, hat das ein wenig von Sadomasochismus: Man leidet daran und man freut sich darüber. Und damit der Genuss die Schmerzen jedenfalls übersteigt, lektoriert man am besten kulinarisch untermalt: Das spornt einerseits an, wild springende Gedanken zu zähmen und Wortfindungen zu provozieren. Andererseits erstickt es beginnende Konflikte zwischen Autorin und Lektorin im Keim, damit es keine Brösel gibt. Zu diesem Vorgang, der jede Menge Fingerspitzengefühl erfordert, traf man sich zum liebevollen Duell in Wien. Im Morgengrauen. In der Innenstadt. Beim Haas und Haas Teehaus. Es herrschten schon morgens Wüstentemperaturen, die ein Niederlassen im schönen Gewölbe unmöglich machten, aber der umrankte Gastgarten im ebenso schönen Innenhof bot kleine dezente Wasserdüsen, die in feinem, beinahe schon gasförmigem Strahl die Arbeitsfähigkeit erfrischten. Das Arbeitsprotokoll erstreckte sich über insgesamt vier Stadien von immenser Wichtigkeit: Besprechung der Speisekarte. Besprechung des Textes. Uneinigkeit bei Speisekarte. Uneinigkeit bei Text. Konzentriertes Essen. Und anschließende harmonische Besänftigung. Nach langem diskussionsreichen Hin und Her verwarf die Lektorin jedenfalls sowohl das japanische als auch das englische Frühstück. Sie sei weder in Japan noch in England, dafür aber nicht oft in Wien. Also folgte in stringenter Logik das Wiener Frühstück mit hausgemachter Wachauermarmelade von dunkeloranger Farbe, weichem Kipferl und Gebäck samt Butter.

Ich bin ja im geliebten Wien sowieso tiefwurzelnd ortsverbunden und kann dadurch locker Ausflüge in andere Esstraditionen machen: etwas Italien mit gebratenem Gemüse, danach eine Prise Londoner Reminiszenz in Form von warmmürben Scones mit Clotted Cream und Erdbeermarmelade. Erstere sind etwas zu sehr dem Zerfall zugetan, die weiße herrliche Creme lenkt aber ein wenig davon ab. Creme lenkt übrigens von fast allem ab im Leben. Abgeschlossen wird die kulinarische Schnitzeljagd an der Wiege der Sonne: ein Kännchen King of Jasmine aus der Teeluxe-Serie. Eine Spezialität aus dem Yunnan, preist ihn die Karte an. Der Grüntee – versetzt mit frisch aufgeblühten Jasminblüten– transzendiert die an ihm Nippende ohne Vorwarnung in einen Jasmingarten, ja beinahe auf einen Thron. Von diesem holt sie übrigens die verlässlich bodenhaftende Lektorin in bemerkenswert kurzer Zeit wieder hinunter. Neu im Angebot gibt es auch in Sirup und Nelken eingelegte Feigen, die man sich ins Joghurt mischen kann, um sich auch noch Griechenland ins Haus zu holen. Griechenland hat an diesem Morgen keine Chance mehr: Wegen akuter Überfüllung nehme ich die vielversprechenden Feigen nach Hause mit. Das rasende, unstillbar gierige Unterbewusste muss weiterhin bei Laune gehalten werden – spätestens zu jenem Zeitpunkt, an dem der Laptop in trauter Einsamkeit wieder aufgeklappt wird.

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