Paaradox: Zwei Pechvogerln
Sie
Der Mann nebenan, neuerdings als „Mann gegenüber“ auf der anderen Straßenseite in seinem neuen, kleinen Reich residierend, gibt sich sehr gerne als Oberg’scheiterl. Wenn das Butterbrot mit der Butterseite nach unten auf den Boden fällt und er beim Aufheben das Kaffeehäferl umhaut, sagt er nicht „Scheiße!“, sondern er tastet seine Gehirnwindungen nach etwas sehr, sehr Großem ab. Möglichst „meta“ muss das sein, mit einem leisen Timbre von Intellektualität. Dann bezieht er sich gerne auf Jaspers, Wittgenstein oder Popper und will mit mir dringend philosophieren. So nennt er das. Doch im Grunde geht es ihm nur darum, zu beweisen, dass er sehr viel weiß. Mehr als andere. Und vor allem mehr als ich.
Bumpatsch
Und so kam es, dass ich ihm bei unserem Frühstücks-Date von meinen vielen kleinen, aufeinander folgenden Malheurs erzählte, die mir dieser Tage widerfahren waren. Etwa, dass der Tiefkühler eingegangen war, das darin lagernde Gefriergut sich zu einem mittelgroßen Eisberg geformt hatte, den ich flugs in Angriff nehmen musste, worauf mir später zwei Liter aufgetaute Fischsuppe aus der Hand rutschten. Bumpatsch, auf den frisch geputzten Teppich. Um ehrlich zu sein: Ich erzählte das alles, um bedauert zu werden. Ein Oioioi, du Armes samt Wangentätscheln und Kopfkrauli hätte mir gut getan. Stattdessen faselte er etwas von „Murphys Gesetz“ – so nennt man die Annahme, dass alles, was schiefgehen kann, auch mit Sicherheit schief geht. Nun wollte er länger über falsch zusammengeschraubte Montagsautos, Heizungskessel und Menschen philosophieren, doch ich holte ihn zügig auf den Boden der Realität zurück, drückte ihm einen Sack mit fischelndem Teppich in die Hand und bat ihn, den zügig in die Putzerei zu bringen. „Hm, dann fischelt ja mein Auto“, meinte er nur. Da schleuderte ich ihm Philosophisches von Sokrates entgegen: „Hasi, das wahre Glück ist: Gutes zu tun. Also hoppauf!“
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Er
So ist das im Leben. Man öffnet vor dem Schlafengehen das Fenster zum Lüften, und der Sturm sagt sich in böiger Laune: „Oha, da mache ich mir einen Jux und lasse es zuknallen.“ Und damit es auch richtig lustig wird, zerspringt die Scheibe in tausend Teile. Was habe ich gelacht, als ich um Mitternacht Splitter aus dem Bett bergen durfte, auf dem Boden herumkriechen, Schauferl, Besen und Staubsauger aktivieren, um verspätet zur Nachtruhe anzutreten. Ich konnte dann aber lange nicht einschlafen vor lauter Tränen der Erheiterung. „Das himmlische Kind“ grinste ich, und nicht ein Fluch perlte mir über die Lippen. Zu präsent war noch die Freude über die Mahnung, die bockende Waschmaschine und die kaputte Brahms-CD. Ich schob die Ansammlung unglücklicher Umstände auf den Vollmond und schlief danach fast fünf Stunden lang, bis mich die Alarmanlage eines Autos sanft weckte.
Wehklagen
In diesem Zustand des Frohsinns setzte ich mich an den Frühstückstisch, bereit für das Epos „Schabernack mit Michael H.“. Ich kam aber nicht dazu, mein pointiertes Feuerwerk zu zünden. Gnä Kuhn war schneller. Und erzählte wehklagend von ihrer Serie schicksalhafter Unpässlichkeiten. Ich hörte gelassen zu, das Schmunzeln des Vorabends unterdrückte ich aus Respekt. Dass ich eine Atempause von ihr nützen könnte, um die Chef-Phrase „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ unterzubringen, habe ich aus Erfahrung nicht in Betracht gezogen. Weil: Sie macht im Stadium des Bebens keine Atempausen. Irgendwann war die Liebste aber fertig, und ich hätte vieles sagen können, etwa: „Was ist schon eine Fischsuppe auf dem Teppich gegen eine Fensterscheibe im Bett?“ Oder: „Ich kann dich so spüren, lass’ dich umarmen.“ In beiden Fällen hätte sie gesagt: Nimmst du mich überhaupt ernst? Also entschied ich mich für die Murphy-Variante. Das entlockte ihr erst ein Jo eh, du Schlaubär. Und ein Lächeln. Das mag ich. Daher noch eine Chef-Phrase: „Scherben bringen Glück.“
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