Paaradox: So ein Tango!
SIE
Das Publikum war von den poetischen Ausführungen des Mannes nebenan äußerst entzückt – zumindest auf Facebook. Da hatte er einen Moment seines Alltags beschrieben, als er eine junge Frau dabei beobachten konnte, wie sie fröhlich über den Gehsteig „tänzelte“. Von „Frohsinn-Choreografie“ schrieb er lyrisch und irgendwas von „swingen“. Herzig, abgesehen davon, dass der Gute von Swingen so viel Ahnung hat wie ich vom Dribbeln. Aber erst mit seinem letzten Satz – der Moral von der G’schicht’ also – sorgte er für einen mittelargen Alarmzustand bei mir: Hallo? Oida? Der Satz ging so: „… und wir sollten auf gewisse Weise alle öfter tanzen.“
Tanzen? Nicht mit ihm.
Aha. Oha. Ausgerechnet. Er, der übers Tanzen einmal gesagt hat, lieber wäre ihm eine Wurzelbehandlung, zu der er Zwölftonmusik und die Back Street Boys gleichzeitig hören müsse. Er, der einen Vollrausch braucht, um erste Anzeichen einer tänzerischen Enthemmung zu entwickeln, bei der er mutig mit dem Vorfuß wippt und die Finger schnippt. Er, für den Tanzen in der gleichen „Wäh-Kategorie“ rangiert wie die Blattsalatgarnitur zum Schnitzel. Und dann das. Zügig raschelten freie Assoziationen durch mein Gehirn: Was will er wem sagen? Fängt so die Midlife-Krise an? Muss ich mir Sorgen machen? Ist eh noch Brot daheim? Und nur zur Sicherheit pflockte ich einen Ehefrauen-Kommentar unter sein Tanz-G’schichterl – aus dem Genre „Harsch, aber herzlich“, nämlich: „Es wird Zeit für unseren Tangokurs, wie besprochen.“ Laue Reaktion seinerseits. Der Abend „danach“ versprach spannend zu werden. Erst plauderten wir über das Älterwerden, die Brunft des Mai-Bocks und dass ich Brot vergessen hätte. Dann probierten wir Wohnzimmer-Tango, eins, zwei, Wie-ge-schritt – so lange, bis es bei mir im unteren Rücken knackste, und bei ihm im linken Knie. Alsdann, ab aufs Sofa: Dirty Dancing schauen, mit Thermophor und Topfenwickel.
ER
Kaum war mein Facebook-Posting über die Frau, die mir auf der Straße fröhlich entgegentanzte, der Weltöffentlichkeit zugänglich, kramte die spontan animierte Gattin in Anbetracht meiner Begeisterung für diesen Auftritt in einer Notiz sofort die Tango-Kurs-Idee hervor. Wieder einmal. Und der liebe Kollege und feine Beobachter Wolfgang G. kommentierte das so: „Und schon ist ein zarter poetischer Moment auf dem harten Parkett der pragmatischen Projekte gelandet. Schönes Paaradox-Thema.“ Wie recht er doch hat. Mit allem. Aber genau deshalb habe ich ja – als unumstrittener Experte für Kuhn-Reflexe – im letzten Augenblick meines kurzen Textes eine listige Ergänzung formuliert. Ursprünglich stand da: „Wir sollten alle öfter tanzen.“ Aber meine Tango-Kurs-Intuition (und Tanzstunden-Exitstrategie) ließ mich dann Folgendes daraus machen: „Wir sollten auf gewisse Weise alle öfter tanzen.“
Jö, schau
Ein Unterschied, der mir wesentlich erscheint. Denn während sich die Liebste im Geiste schon mit einer Rose zwischen den Zähnen durch den Ballroom wirbeln sah, konnte ich mein Credo Wenn schon ein Dasein im Zwei-Viertel-Takt, dann nur im Wirtshaus mit gutem Veltliner reinen Gewissens offenbaren. Also stellte ich ihr die Frage, was bitte an „auf gewisse Weise“ nicht zu verstehen sei. Die Antwort darauf blieb sie mir freilich schuldig. Lieber schickte sie mir Links zu „Tango Argentino“, „Tango Creativo“ und „Tango unter Sternen“, mit Smileys und Vermerken wie: „Jö, schau“, „Da können wir uns austoben“ und „Hach“. Was sie nicht recherchierte, waren Themen Marke Wie Sie sich als Tanzpaar mit vier linken Füßen lächerlich machen und als LOL-Models Ihre Ehe gefährden. Stattdessen hielt sie mir Screenshots weiblich-solidarischer Zurufe unter die Nase. Daher gestattete ich einen Test-Tango im Wohnzimmer. Mit YouTube-Tutorial. Und ihrem grazilen letzten Schritt: „Ok, schau’ ma einen Film.“
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