Paaradox: Leidenschaften
Sie *Kopfschüttel: Irgendwie ist nichts mehr wie es wahr. Nicht einmal die Sprache des Mannes nebenan, denn neuerdings höre ich aus dem Wohnzimmer immer öfter Sachen wie: *Ächzwürgstöhn, Oida! Irgendwas verkümmert da gerade, habe ich das Gefühl, und sein sonst so geschliffener Stil bröckelt, Stichwort: *stammel. Das hat wohl damit zu tun, dass er sieben Wochen lang keinen Tennisschläger mehr in Händen halten durfte. Sein wöchentliches Match hat er stets als Seelenhygiene empfunden – als Reinigung von was auch immer. Ein Ritual, das er gerne mit einem markigen Den hob I heut’ wieder paniert, *kicherkicher“ beschrieb.
Lendl versus McEnroe, *bamm!
Und weil das bis heute streng verboten war, suchte und fand er seine Ersatzdroge anderswo: Nämlich im nächtlichen Betrachten uralter Tennispartien, wie zum Beispiel John McEnroe gegen Ivan Lendl bei den French Open, 1984 – laut, lang, leidenschaftlich. Da lebt er mit, da feuert er an und schreit – die Faust geballt – herum, als würde er statt Lendl auf dem Center Court stehen: *Yessss! *Bamm. *Zadong. *Wabumm. Eines nachts stand ich, *schwuppdiwupp, *grummel und *gähn, im nächtlichen Ahnfrau-Stil vor ihm und fragte höflich, gegen welchen Pfosten er genau gerannt sei – *vogelzeig, übrigens. Selbstverständlich tat er so ahnungslos wie verwirrt: „Echt jetzt. Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, darf ich jetzt nicht einmal mehr schauen, was mich interessiert?“ Ich konterte mit einem Zitat, das dem großen Tennisspieler Ivan Lendl zugeschrieben wird: „Ich habe Angst, ganz tief in mich zu sehen, weil dort vielleicht nichts ist.“ Und fügte, *amkopfkratz, hinzu: „Kann’s sein, dass das jetzt auch für dich gilt, Hasi?“ Doch bevor er noch eine Antwort formulieren konnte, war ich auch schon wieder *duckundweg. Wie gut, dass mein Champion ab sofort wieder Balli schupfen darf. Da sage ich nur: *frohlock!
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Er Ich gestehe, dass es durchaus fordernd sein kann, mit einem Sport-Koffer zusammenzuleben. Wenngleich ich ohnehin seit vielen Wochen keine Live-Übertragungen im Fernsehen mehr konsumieren darf, was sich etwa so anfühlt, als würde ich aufs Atmen verzichten. Daher gönne ich mir mitunter als Melancholiker Ausflüge in die Vergangenheit und sorge bei meiner Frau damit erst recht für *Kopftisch-Momente. Erst unlängst habe ich mir in der Nacht die Zusammenfassungen der letzten zwanzig Champions-League-Finali angesehen – quasi ein Fußballsnack als Betthupferl. In solchen Fällen sagt gnä Kuhn gerne Sätze, die mit „Solltest du nicht lieber ...?“ beginnen. Womit sie unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass eine TV-Wiederholung von Barcelona – Arsenal (2006, 2:1) auf ihrer Prioritätenliste irgendwo zwischen Wasserpumpenzange besorgen und Fangerlspielen mit Laufkäfern liegt.
Lektüre-Lust
Daher kann ich mich auf ihr „Solltest du nicht lieber ...?“ (Essigreiniger kaufen, die Vorhangstange reparieren, in dich gehen) verlassen. Dem entgegne ich mit der genau gleichen als Vorschlag getarnten Aufforderung: „Solltest du nicht lieber ein Kochbuch lesen?“ Den Folgesatz „Statt mir einen Erledigungstanz zu machen“ lasse ich aber aus ehetaktischen Gründen unausgesprochen. Den nimmt sie als Schwingung sowieso wahr. Dabei meine ich das wirklich ernst. Die Liebste kann tatsächlich stundenlang in Kochwälzern schmökern. Als wäre Nasi Goreng – Gerichte als Gedichte so romantisch wie Vom Winde verweht. Oder Die große Gemüse-Bibel so spannend wie Shining. Sie blättert nicht, sie versinkt. Als müsste sie alle Rezepte auswendig lernen, um an einem Lektüre-Tag die Versorgung bis ins Jahr 2035 sicherzustellen. Und selbstverständlich lasse ich sie in ihrem Glück. Das aufgrund der Stille ja auch mein Glück ist. Apropos: Das Siegestor 2006 schoss Juliano Belletti. Immer gut, so ein Wissen aufzufrischen.
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