Paaradox: Jung geblieben

Gabriele Kuhn und Michael Hufnagl
Die Tochter feiert einen runden Geburtstag, die Eltern machen sich Gedanken über das Älterwerden. Und zwar über das eigene.

Sie

Jetzt ist sie weg und vor zwei Tagen 20 geworden, diese wunderbare junge Frau, unsere Tochter. Der Papo aka „Mann nebenan“ tupft sich an manchen Tagen immer noch dezent die Augenwinkel mit saugfähigen Taschentüchern trocken. Dann murmelt er irgendwas von „wie die Zeit vergeht, a Wahnsinn“ und stöbert in alten Fotos herum, auf denen er sommerstrohblonde Haare hat – und Bauchmuskeln. In solchen Momenten lege ich gerne den Zeigefinger auf seine fotografisch festgehaltene Körpermitte und sage: „Mei schau, kannst dich noch erinnern? Da warst aber noch sehr jung!“ Das mag er natürlich gar nicht, weil er sich immer noch wie so ein lässiger Checker in der Adoleszenz fühlt – Motto: Voll swag – was geht ab?

Geh, Papa!

Die Tochter, mittlerweile fast so langmütig wie die Mutter, reagiert darauf mit einem ermatteten „Geh Papa…!“ und findet das sogar witzig. Mit 16 perlte ihr hingegen nur ein dezent angeekeltes „urepeinlich“ über die Lippen. In diesen Momenten erinnerte ich sie dann gerne an das Kindergruppen-Abschlussfest im Sommer 2007 als der Super-Papo beim Kinder-Huckepack-Bewerb (die Tochter als Klammeräffchen an Vaters Rücken) seinem Ehrgeiz freien Lauf ließ und als erster ins Ziel hechelte – what else? Und wie stolz sie damals den Rest des Nachmittags herumlief – „mein

Papi!“ Dass der Für-immer-Jung-Geselle anderntags beim Chiropraktiker seines Vertrauens eine Akut-Intervention benötigte, hat er ihr lange verschwiegen und sich selbst irgendwie auch. Aber so ist das, mit Menschen, die denken, sie seien für immer jung, für immer unbesiegbar, für immer die Helden ihres eigenen Actionfilms. Was das Leben an seiner Seite wiederum spannend macht, muss ich zugeben. Also spar’ ich mir Sätze wie Pass beim Sport auf dein lädiertes Knie auf und harre mit Topfenwickel auf das, was kommt. Während er Chill dein Leben ruft – und einfach losläuft.

gabriele.kuhn / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Unlängst wurde ich für eine Magazin-Story zu meinen Erfahrungen als Karenz-Vater befragt. Und ich plauderte sturzbachmäßig los, weil die Erinnerungen ja gar so frisch erscheinen. Ich sagte: „Diese spezielle Zeit der Zweisamkeit liegt ein paar Jahre zurück.“ Musste mir jedoch rasch eingestehen, dass ein Rückblick auf 2001 allenfalls doch ein bisserl länger her ist als „ein paar Jahre“. Also begab ich mich in den Keller auf die Spuren der Vergangenheit.  Natürlich mit der Frage an meine Frau: „Weißt du eigentlich, wo die ganzen alten Fotos sind.“ Wusste sie, eh klar. „Im rechten Regal ... zweite Kiste von unten.“  Na genau, wo sonst? Und dort fand ich tatsächlich jene zahllosen Aufnahmen von uns, die vor allem diesen einen großen Gedanken wachsen ließen: Verdammt,  wo ist die Zeit geblieben? Denn immerhin feierte das bezaubernde Mädchen,  das damals samt Eisstanitzel auf  meinen Schultern saß,   gerade den 20. Geburtstag. Ich lächelte voller Sentimentalität: Das Kind hatte eine Fülle von Fragen, ich eine Fülle von Haaren.

Kraftvolle Pose

Aber da war doch noch jemand ... die Mutter nämlich. Die im Zuge der Zeitreise auch die eine oder andere ... wie sagt man’s vorsichtig ... nun, äh ... Weiterentwicklung vollzogen hat. Ruckzuck suchte ich einige besonders anmutige Fotos aus dem Karton und spazierte mit dem Beweismaterial beherzt  ins Wohnzimmer. Wo  die Liebste gerade als  Yoga-Kriegerin die kraftvolle Pose Virabhadrasana zum Besten gab (die klappt  in jedem Alter). Ich hielt ihr trotzdem heldenhaft Posen von einst unter die Nase und wollte sagen: „Da schau’, wie jung du damals ausgesehen hast.“  Stattdessen wählte ich aber dann doch instinktiv die Sicherheitsvariante und sagte einfach nur: „Da schau’!“ Und sie antwortete: „Jössas!“ Das genügte mir. Und ich ging Blumen kaufen. Für eine großartige Frau, die so  leidenschaftlich mit mir alt werden will. Und für  eine Mami, die wunderbarer nicht sein könnte.

michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9

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