Paaradox: Fotos & Statistik
SIE
Ja, vielleicht habe ich einen Fetisch. Soll allerdings Schlimmeres passieren, als dass der 534. Sonnenuntergang die Fotosammlung meines Smartphones ergänzt. Aber Hauptsache der Mann nebenan hat im Urlaub etwas zu maunzen: „Mah, jetzt müssen wir gleich wieder hundert Stunden stehen bleiben, damit du das planetare Verglühen in 25 Phasen bildhaft dokumentieren und dabei vollkommen entrückt sein kannst. Ist dir das nicht schon zu blöd?“
Zählen und schnaufen
Ich könnte nun zweierlei tun: Ihm einerseits erklären, dass es tausend Mal besser ist, die Sonne im Bild zu verewigen als – so wie er es tat – eine fremde Strandliege zu fotografieren, auf der die Neue Post herumkugelt. Warum nur? Oder ich könnte seine komische Eigenschaften erwähnen, Treppen zu zählen, wenn wir irgendwo emporsteigen – ja, auch in der „schönsten Zeit des Jahres“. Kaum irgendwo an der Spitze angelangt, werde ich schnaufend mit einer Zahl konfrontiert und seiner manischen Begeisterung, die ich – sagen wir so – ein wenig befremdlich finde. Ich sage trotzdem nix, weil: wurscht. Großzügig, wie ich nun einmal bin, verfasse ich zu keiner seiner Neurosen eine Schandrede und halte mich auch mit persönlicher Kritik dezent zurück. Soll doch jeder auf seine Art spinnen. Auch wenn’s äußerst komisch ist, dass er sich zwar nicht an den romantischen Abend in diesem Pariser Bistro erinnern kann, aber noch genau weiß, dass er vom Boden bis zur ersten Etage des Eiffelturms insgesamt 364 Stufen gegangen ist. Und zu dozieren vermochte, dass sich der Aufstieg aus 24 Abschnitten à 24 Stufen zusammensetzt, wobei 21 Stufen ... blablabla. An dieser Stelle bin ich wohl eingeschlafen oder musste dringend die französische Sonne fotografieren. Wenn Sie dazu wirklich mehr wissen wollen, fragen Sie doch den da drüben
Neue Podcast-Folge „Schatzi, geht’s noch?“ auf kurier.at und allen Podcast-Apps
Auftritte: 10. 10., 1. 11., Rabenhof ; 20. 11., Klosterneuburg
Twitter: @GabrieleKuhn
ER
ErNun, weil ich ja ein Faible für Zahlen habe, darf ich nach einer kurzen Addition vermelden: Seit meiner Geburt ist die Sonne bis heute 18.505 Mal untergegangen. Ich habe sie dabei zwar nicht konsequent beobachtet, aber ich würde sagen: Ich sah sie oft irgendwo versinken. Eh schön. Aber wer mit gnä Kuhn in die Berge oder ans Meer reist, fühlt sich im Augenblick eines solchen Naturschauspiels an ein Kind erinnert, das vor dem erleuchteten Christbaum aus dem Staunen nicht herauskommt – immer so, als wär’s das erste Mal. Da steht meine Sonnenanbeterin so ehrfürchtig neben mir am Strand, ruft Ooooh und Aaaah und Uiuiui, dass ich es niemals wagen würde zu sagen: „Großartig, und so verblüffend anders als gestern und vorgestern.“ Auch, um mir die pathetischen Vorträge Hab’ Demut vor dem Universum oder Lass’ dich vom Zauber berühren zu ersparen. Stattdessen sag’ ich: „Tja, wenn alles ist, wie es scheint.“ Wissend, dass sie einem philosophischen Strahlensatz speziell im Urlaub nicht widerstehen kann.
Komm’ ... Selfie!
Dann denke ich daran, dass es 2020 in Wien 2031 Sonnenstunden gab, dass die Erde im Mittel 149,6 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist, und dass auf ihrer Oberfläche eine Temperatur von rund 5.900 Grad herrscht, was ziemlich warm ist. Meine Faszination ist eben Statistik, und die hilft mir über die Zeit, in der die Liebste damit beschäftigt ist, das Wunder des Verschwindens fotografisch festzuhalten. Bis sie irgendwann in ihrer Social-Media-Verantwortung sagt: Komm’ ...Selfie! Dann mache ich gefühlte 23 Bilder von uns drei Fixsternen, von denen sie später fix nicht ein einziges verwenden kann, weil sie entweder die Augen zu, den Mund offen oder die Haare im Gesicht hat. Zuletzt hat sie deshalb gesagt: Ich will ja bitte nicht als Instagrammel daherkommen. Und das wiederum finde ich mindestens so lustig wie die Tatsache, dass mein 20.000 Sonnenuntergang tatsächlich auf den 29. September 2025 fällt … auf meinen 55. Namenstag.
Twitter: @MHufnagl
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