Paaradox: Die alte Kiste
Sie
Manchmal, wenn ich in unseren kleinen Garten schaue, habe ich eine Vision. Ich sehe diese alte grüne Kiste hinten im Eck und stelle mir vor, wie sie in 500 Jahren von Archäologen gefunden wird. Sie rätseln, ob es sich bei dem vermodert-versteinert-verrotteten Mischmasch aus Bocciakugeln, Planschbeckenresten, Schwimmflügel, Luftmatratzenpumpe und diversem Sandspielzeug um mystische Relikte einer unbekannten Kultur handeln könnte.
Vielleicht landet dann das kaputte Plastikschwimmflügerl als Erinnerung an eine eigenartige Generation im Museum. Wenn’s mir schlecht geht, sehe ich vor meinem geistigen Auge allerdings, wie sich die Kiste plötzlich öffnet und oben genannte Gegenstände als Moder-Monster ins Schlafzimmer dringen, um mich aufzuessen. Und über allem dieses Das mache ich morgen! als erschöpfend oft formulierter Satz des Mannes nebenan.
Zeit und Schimmel
Ja, seit zehn Jahren deliriert er, dass er sich „morgen“ fix um diese Kiste kümmern wird, ebenso wie um die mittlerweile als antik geltende Keller-Kollektion übel riechender Sporttaschen aus der Phase „Jung, agil, Mittelstürmer“ (sehr lange her!), Skischuhen aus der Ära des Jet-Schwungs sowie Gartengeräte, die durch den Faktor Zeit & Schimmel so entstellt wurden, dass man sie als verträumte Installationen an leidenschaftliche Naturgärtner verkaufen könnte.
Wenn ich den Mann sanft erinnere, dass sich sein „Morgen“ aufgrund Hufnagl’scher Zeitdehnung längst in ein „Vorvorgestern“ gewandelt hat, sagt er tatsächlich: Irgendwie wurscht, Zeit ist bekanntlich eine Illusion. Stimmt. Auf die paar Minuten kommt’s auch nicht mehr an – Hauptsache, Bier und Schnitzi werden pünktlich serviert. Und wer weiß? Vielleicht geht die Kiste eines Tages ganz von selbst weg, weil es ihr in unserem Garten zu fad und zu eng geworden ist.
Neue Podcast-Folge „Schatzi, geht’s noch?“ auf kurier.at und allen Podcast-Apps; Auftritte: 27. 8., Mank; 10. 10., 1. 11., Rabenhof
Twitter: @GabrieleKuhn
Er
Dass es unsere Gartenkiste in diese Kolumne schafft, hätte ich nicht gedacht. Auch deshalb, weil man sie gar nicht mehr sehen kann. Das gute, alte Ding steht seit mittlerweile 15 Jahren im Eck des Gartens und ist in meiner Wahrnehmung längst Teil der Natur geworden. Die Kiste ist von dicht gewachsenen Pflanzen umgeben, und weil sie selbst ein grünes Antlitz besitzt, stört sie nicht im Geringsten ... es sei denn, es gibt eine Königin, die im Justament-Reich ein strenges Regiment führt.
Und die alle paar Monate beim Frühstückskaffee befindet, ihr Hofnarr möge bitte einen profunden Entsorgungsplan entwickeln. In solchen Augenblicken des Unwillens wage ich gerne einen philosophischen Ansatz. „Die Kiste steht hier immer schon, und ich frage dich: Hat sie unser Leben auch ohne jeden Verwendungszweck jemals schlechter gemacht?“ Sinnfragen will gnä Kuhn aber nicht erläutern.
Im Glauben erstarrt
Ich sage: „Lass’ sie doch als stilles Monument unserer Gartengeschichte, wie sie ist, und wo sie ist.“ Und sie sagt nur: Hearst! Die Kiste ist schiach, den Platz könnte man viel besser nützen. Was bedeutet: Ein 73. Sträuchlein pflanzen. Aber allein der Gedanke, ich müsste den ganzen Krempel herausholen und wegbringen, fällt emotional in die Kategorie Zahnarztbesuch. Also sage ich: „Da geht doch fix der Deckel gar nimmer auf.“ Aber ihr Blick verrät: Trottel-Argument. Und ich muss ihr heimlich recht geben.
Leider ist die Option, dass die Liebste die vielen Mahnmale aus der Ära Kleinkind-Entertainment selbst ins Licht schafft, fern jeder Realität. Weil sie in dem Glauben erstarrt, dass aus dem Inneren faustgroße Spinnen und unberechenbare Killer-Käfer krabbeln und hüpfen. Böse Tiere, die jahrelang in einem Blasebalg gelebt und dort Strategien entwickelt haben, wie sie dereinst ihre Attacken inszenieren würden. Ich habe daher kavaliermäßig die Kistenwegschaffung für Herbst in Aussicht gestellt. Jedoch verknüpft mit der Warnung: „Aber wehe, du willst dann Boccia spielen.“
Twitter: @MHufnagl
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