Nicht gesucht, aber gefunden
Dieser Tage kam eine Kundin zu mir in die Bibliothek (ich arbeite dort sozusagen als Nebenerwerbs-Menschen-und-Bücherfan). Sie brachte das Buch „Ein Beagle namens Daria“ zurück und empfahl es der hinter ihr angestellten Kundin mit den Worten: „Sehr amüsant, da weiß man hinterher, wer sich wen ausgesucht hat, nämlich der Hund seine Leut’ und nicht umgekehrt.“ Es war die freundliche Art, mir zu sagen, dass mir Daria auf der Nase herumtanze.
Und wenn ich ganz ehrlich bin, stimmt das ja, ein bisschen zumindest. Ich würde es nur niemals zugeben. Unlängst tanzte Daria wieder einmal auf meiner Nase – und am Abgrund – herum. Sie mit ihrem vierbeinigen Allradantrieb tänzelte grazil am gatschig-rutschigen Rand, von dem aus man in die Tiefe sieht und die Fallhöhe eindeutig zu hoch ist.
Ich mit meiner Höhenangst kann dort nicht hin. Sie zeigt mir die lange Nase, indem sie auf- und abhüpft und dabei auf meinen Nerven herumtrampelt, als wolle sie mir beweisen, dass meine Panik völlig unbegründet sei.
Dank Überredungskunst in Form von Hundekeksen kommt sie schließlich doch zurück auf den Weg. Wir gehen weiter. Ich denke bei mir: „Hat Daria sich tatsächlich mich ausgesucht? Um mir meine Höhenangst kleinzutrampeln?“
Kein Platz für Misstrauen
Wir nähern uns einer Engstelle zwischen zwei Felsen. Entgegen kommen: Zwei ins Gespräch vertiefte Frauen und vorneweg ein sehr großer Hund ohne Leine.
Jetzt ist Daria diejenige von uns, die Panik schiebt. Sie kennt keine Höhenangst, sehr wohl aber Platzangst, wenn sie unbekannten Hunden auf engstem Raum begegnet. Ich könnte jetzt so grausam sein wie sie und provokant weitergehen. Mache ich aber nicht.
Ich bleibe stehen und warte, bis der andere Hund zwischen den Felsen durch ist. Die beiden Hunde begrüßen einander freundlich. Hier ist genug Raum – und kein Platz für Misstrauen. Zufrieden gehen wir weiter. Ich denke bei mir: „Habe doch ich mir Daria ausgesucht? Um ihr ihre Platzangst abzutrainieren?“
Oder suchen wir einander immer wechselseitig aus, weil wir im anderen unbewusst etwas sehen, das uns selber fehlt? Meine abschließende Theorie dazu lautet: Wir suchen gar nicht. Wir haben uns einfach gefunden.
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