Manchmal ist die Begleitung aufregender als der Film

Filme schauen ist gut, ins Kino gehen ist besser.
Alexandra Seibel

Alexandra Seibel

Als Reaktion auf meine Jobbeschreibung „Filmkritikerin“ bekomme ich oft euphorische Rückmeldungen: „Was? Ins Kino gehen und auch noch dafür bezahlt werden? Super!“

Das finde ich auch.

Wenn ich allerdings hinzufügte – und hier muss ich zwangsläufig in der Vergangenheit sprechen, denn es handelt sich um Vor-Corona-Zeiten –, dass ich fast täglich schon vormittags ins Kino zu den Pressevorführungen gehe und nicht selten mehrere Filme hineineinander ansehe, sank der Begeisterungspegel des Gegenübers spürbar: „Tagsüber ins Kino gehen? Das könnte ich nicht.“

Zumal dann nicht, wenn draußen die Frühlingssonne vom Himmel lacht und man sich schon des Morgens für mehrere Stunden ins Kino eincheckt. Oft ist der Tag schon fast gelaufen, wenn man wieder auftaucht und sich mit zusammengekniffenen Augen an das Tageslicht gewöhnt.

Aber ich liebe das. Der Geruch von erkaltetem Popcorn am Morgen und den gerade erst aufgewachten Spannteppichen im Multiplex begleitet mich in die dunklen Säle, wo sich schon ein paar andere versprengte Kollegen in den Sitzreihen ducken. Dann rauschen die Logos der großen Studios über die Leinwand, Löwen brüllen und Weltkugeln drehen sich. Die Lichter gehen aus, die Welt versinkt und wir werden in andere Sphären katapultiert.

Nun gibt es genügend Mitmenschen, die mit Hinweis auf ihr technologisch ausgeklügeltes Heimkino und ihre bequeme Couch auf

die Vorzüge des Streamingdienstes verweisen. Und natürlich bieten gerade jetzt, wo die Kinos ohnehin zwangsläufig geschlossen bleiben müssen, Videos on demand eine herrliche Alternative.

Aber für mich ist es das auch schon wieder: eine Alternative. Denn nichts kann das Kino ersetzen – schon gar nicht am Abend.

Dass man sich für einen Kinobesuch aus dem Haus bewegen muss, empfinden viele als gravierenden Nachteil. Es gibt aber kaum bessere Anlässe, um Trainingshose und Topfpflanze im Wohnzimmer hinter sich zu lassen.

Tatsächlich rückt das derzeitige Kinoverbot noch einmal so richtig in den Vordergrund, worauf man gerade verzichten muss: Das Treffen mit Gleichgesinnten an einem verabredeten Ort, um gemeinsam etwas anzuschauen. Ob allein, als Paar oder in der Gruppe – das Kino bietet immer einen sozialen Mehrwert, der sich aus einer genialen Mischung aus großer Öffentlichkeit und abgedunkelter Privatheit zusammensetzt.

Diskretes Dunkel

Wer alleine ist und die einsame Stube hinter sich lassen möchte, findet im Kino immer eine Heimat und kann gleichzeitig an einem kollektiven Erlebnis teilhaben.

Auch zu zweit lässt sich ein Film im diskreten Kinodunkel gut genießen – und jeder kann für sich entscheiden, ob er oder sie den Begleiter oder das Filmgeschehen aufregender findet.

Klar kann man Pech haben und neben Menschen zu sitzen kommen, die mit ihren Handys Lichtspiele veranstalten oder geräuschvoll ihre Salsa-Chips knuspern. Ich habe auch schon Kinobesucher erlebt, die während einer Vorstellung

in ihr Mobiltelefon quatschen, den gesamten Film durchschlafen – nicht selten mit Schnarchgeräuschen – oder mit der Leinwand schimpfen, weil sie den Film blöd finden.

Trotzdem: Mit vertrauten und/oder fremden Menschen im dunklen Raum sitzen, sich zu Lachstürmen hinreißen lassen, Schreckensschreie in Horrorfilmen ausstoßen oder gar weinen – gehört mit zu den besten Unterhaltungsformen. Das Kino transportiert uns

in eine andere Welt, während es uns gleichzeitig mit unserer Welt – den Freunden, den Fernstehenden – verbindet.

Ich vermisse das Kino. Ich vermisse uns alle im Kino.

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