Kralicek geht essen: Elegie auf das Bahnhofsrestaurant

Die Wehmut, die mich befällt, wenn ich an Bahnhofsrestaurants denke, ist kein echtes Gefühl; es muss sich um emotionale Phantomschmerzen handeln.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Denn die heruntergekommenen Bahnhofsrestis, an die ich mich erinnern kann, waren keine Sehnsuchtsorte, sondern triste Kaschemmen für Menschen, die den Zug wohl dauerhaft verpasst hatten. Aber abgesehen davon, dass es ja auch für die verlorenen Seelen der Stadt einen Ort geben muss, vermisse ich die Bahnhofsrestaurants, weil sie ursprünglich für etwas ganz anderes standen. Für eine Epoche, in der die Menschen vor einer Reise nicht hastig Baguette und Coffee-to-go in die Tasche stopften, sondern sich Zeit für eine gepflegte Mahlzeit im Bahnhofsrestaurant nahmen. Für ein Lebensgefühl, in dem „Bahnreise“ noch kein altmodisches Wort für „öffentlicher Verkehr“ war. Für eine Ära, in der Bahnhöfe noch was hermachten.

Inzwischen sind nicht nur die Bahnhofsrestaurants verschwunden, sondern auch die Bahnhöfe. Früher waren es stolze Bauten, lichtdurchflutete Kathedralen der Mobilität. Heute sind es bloß noch schnöde Einkaufszentren mit Anschluss an den Fernverkehr. In den modernen Bahnhofs-Malls haben Reisende zwar zahlreiche Gelegenheiten, schnell ihren Hunger zu stillen. Aber was sollen sie tun, wenn sie wegen eines verspäteten Zuges oder verpassten Anschlusses – soll ja vorkommen – eine längere Wartezeit überbrücken müssen? Versuchen Sie einmal, eine Stunde oder zwei in der Ströck-Filiale oder in einer Asia-Nudel-Kombüse zu verbringen. Richtige Bahnhöfe müssten wieder her. Aber ich fürchte, darauf können wir lange warten. So wie auf Bahnhofsrestaurants, in denen man lange warten kann.

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