Johannas Fest: Vom Glück, Pilze zu finden

Unser Halali gilt weder Rotwild noch Federvieh, sondern genussverheißenden Hutträgern.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Wenn mein Freund Jonny in Wien ist und Zeit hat, habe ich in ihm einen hoch motivierten „Jagdgefährten“, der auch bereit ist, kilometerweit zu Erfolg versprechenden Revieren zu fahren. Anders mein Freund Christoph, der lieber auf Nummer sicher setzt: Er schickt zuerst einen Spion aus, der eine Grobschätzung der zu erzielenden Beute vornimmt. Erst nach dessen positivem Bescheid wird zu Taschenmesser und Weidenkorb gegriffen. Unser Halali gilt nämlich weder Rotwild noch Federvieh, sondern genussverheißenden Hutträgern. Derzeit sind Wald und Wiese ja reich gedeckt mit Pilzen aller Art. Man muss allerdings am richtigen Ort sein. Während ich vergangenes Wochenende im Südburgenland Freunden bei der Weinlese half, war mein Mann samt unserem vierpfötigen Familienmitglied im Voralpenland wandern. Das Handy meldete einen WhatsApp-Eingang: „Schau mal, was Amy da gefunden hat“, schrieb mein Mann unter das Bild. Zu sehen war unser dunkelbrauner Cockerspaniel vor einem Prachtexemplar von Parasol. „Ich wünschte, ich wäre bei Euch!“, antwortete ich umgehend.

Am nächsten Tag machte ich mit meiner Freundin Vera eine Exkursion durch ihren Obstgarten.

Immerhin entdeckte ich dort einige Ansammlungen von Bovisten, das sind diese kleinen weißen Pilze, die haptisch an Marshmallows erinnern. Gourmets nehmen sie kaum wahr, aber wenn sich sonst nichts findet, sind sie immerhin tauglich, einer Suppe oder einer Schwammerlsauce Aroma zu verleihen.

Was mich an Pilzen so fasziniert, ist ihre schier unerschöpfliche Formenvielfalt. Zum Objekt der Begierde werden sie wohl auch deshalb, weil es sie nicht immer gibt. Diese Geschenke der Natur zu finden, entfacht bei mir einen Ehrgeiz, wie er wohl auch die Goldschürfer antreibt. Im Gegensatz zu Christoph macht mir auch die Suche Spaß. Schließlich schärft das Waldeinwärtsgehen alle Sinne: Es ist eine olfaktorische Symphonie, die Stille, die nur durch das unter den eigenen Schritten knackende Geäst und durch Vogelrufe gebrochen wird, tut der Seele gut und die jahrhundertealten Bäume sind in unserer Welt im Ausnahmezustand Felsen in der Brandung.

Mykophile Künstler

Eine Therapieform, die auch der Schriftsteller Peter Handke regelmäßig nutzt: Jeden Tag sucht er in seinem Revier in der Umgebung von Paris nach Steinpilzen, wenn sie gerade Saison haben. Sie stehen für Wildnis und Widerstand, sie sind für Handke ein poetologisches Exempel. Unsichtbar, unter der Erdoberfläche, entfaltet ein weitverzweigtes Wurzelsystem ein Eigenleben, das man an der Oberfläche nur selten erahnen kann.

Auch dem Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe hatten es die essbaren Hutträger angetan: Er sammelte sie in den Albaner Bergen und korrespondierte mit Naturwissenschaftern über mykologische Phänomene. Auch Antoni Gaudi, der die Architektur Barcelonas maßgeblich geprägt hat, galt als mykophiler Künstler. So gleiche die Kuppel des sogenannten Pförtnerhauses im „Parque Güell“ einem Fliegenpilzhut.

Am heutigen Sonntag werde ich mein Glück wieder versuchen. Mit Amy. Zum Indoor-Training habe ich am Markt einen Steinpilz erstanden. Ich versteckte ihn in der vergangenen Woche immer wieder an verschiedenen Stellen in der Wohnung. Fürs Auffinden mit der feinen Schnuppernase gab es jeweils ein Leckerli. Möge die Trockenübung auch in Wald und Flur gelingen!

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