Johannas Fest: Mahlzeit am kuratierten Tisch

Gastrosophin Johanna Zugmann fragt: Ist die Lockdown-bedingt geschlossene Gastronomie Schrittmacher einer neuen häuslichen Tafel-Ästhetik?
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Unlängst waren mein Mann und ich wieder einmal bei Stefan eingeladen. Das ist für uns ein Ereignis wie Weihnachten und Ostern zugleich. Neben der Aussicht auf ebenso interessante wie herzerwärmende Gespräche in bester Gesellschaft freuen wir uns jeweils auf zweierlei: ein mehrgängiges, vom Gastgeber selbst gekochtes Gourmetmenü und eine geschmückte Tafel, die aussieht wie ein Bild aus einem Hochglanz-Lifestyle-Magazin. – Augenschmaus, an dem man sich gar nicht sattsehen kann und Gaumenfreuden vom Feinsten!

Stefan hat den ovalen Esstisch an diesem Tag mit einem wahren Feuerwerk an Farben und Formen gedeckt: Auf dem pinken Tischtuch strahlten Teller in mintgrün, sonnengelb, azurblau und Fliederfarbe, allesamt Originalstücke aus der „Wiener Manufaktur“ in dem im 18. Jahrhundert sehr beliebten Chiné-Dekor. Das Silberbesteck war auf Hochglanz poliert und mundgeblasene Musselingläser schimmerten neben den antiken Gedecken.

Der Gastgeber hat 17-jährig durch einen Zufallsfund am Flohmarkt mit dem Sammeln des sogenannten „Wiener Porzellan“ begonnen. Heute gilt der gebürtige Waldviertler als einer der führenden Experten und ist erfolgreicher Kunst- und Antiquitätenhändler. Wie mutig von Stefan, dass er uns gar nicht gefragt hat, ob wir eh eine Haushaltsversicherung haben. Schließlich sind idente Vergleichsstücke wie die aufgedeckten Teller in der Silberkammer der Wiener Hofburg zu bewundern. Die Freude über seine gesammelten Kleinode potenziere sich, wenn er die Prunkstücke ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß einsetze, statt sie in einer Vitrine wegzusperren. „Es sind schließlich Gebrauchsgegenstände“, konstatiert der leidenschaftliche Gastgeber, der den Tisch auch alltags mit den natürlich nicht Geschirrspüler- tauglichen Schätzen deckt.

Ich überlegte, ob mein Mut für eine Gegeneinladung ausreicht. Schließlich habe ich außer schlichten weißen Porzellantellern der Villeroy-&-Boch-Linie „Royal“ und dem zwölfteiligen Trinkservice „Alpha“ aus dem Hause Lobmeyr kaum Utensilien zur Gestaltung einer herrschaftlichen Tafel. Noch dazu hat die Putzerei mein schönstes Tischtuch, ein 120 Jahre altes Leinenstück mit handgemachter Ajourstickerei aus Havanna, verloren. Aber was soll’s? – Anfang März werden wir für den 30-Jährigen lustvoll aufkochen und aufdecken. Beides ist laut Medienberichten voll angesagt.

Seit vergangenem Jahr verzeichnen Trend-Scouts nämlich einen regelrechten Boom der ambitionierten Inszenierung privater Esstische.

Eindeck-Kunst

Die Lockdown-bedingt geschlossene Gastronomie als Schrittmacher einer neuen häuslichen Tafel-Ästhetik? Eine Entwicklung, die Leonid Rath, der gemeinsam mit seinen Cousins Andreas und Johannes die Geschäfte von Lobmeyr – Wiens erster Adresse in Sachen Tischkultur – führt, bestätigen kann: „Es gibt ja derzeit kaum Einladungen und kaum Hochzeiten. Daher kaufen Kunden jetzt sehr viel mehr für sich selbst und das nicht für die Vitrine, sondern für den Genuss.“

Gut fürs Budget, dass mutige Brüche angesagt sind.

Modernes Design und Reststücke aus dem einstigen Sonntags-Service der Vorfahren sind nicht inkompatibel, sondern gelten laut Instagram-Trendsettern als reizvolle Kontraste. Stilsicherheit vorausgesetzt, denn der Tisch müsse nicht nur gedeckt, sondern fast schon kuratiert werden, konstatierte kürzlich die renommierte deutsche Tageszeitung Frankfurter Allgemeine. Und resümierte, dass dafür im Lockdown immerhin genügend Zeit sei.

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