Johannas Fest: Isolierung für die Isolation

Schnappen Sie sich einen Freund und gehen Sie in einem Meter Abstand spazieren. Nehmen Sie eine Thermoskanne mit und setzen Sie sich auf eine Parkbank.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Vor zwei Wochen unternahmen wir bei strahlendem Sonnenschein eine Schneewanderung am Hochkar. Der Gang durch den Latschenwald ließ den Alltag vergessen, das Voralpen-Panorama war atembe- raubend und der Bergsee spiegelte das Blau des Himmels wieder. Idylle pur, was will man mehr? Nach etwas mehr als zwei Stunden regten sich allerdings wegen der geschlossenen Gastronomie unerfüllbare Gelüste. Dabei wäre schon die einfachste Jausenstation mit Glühmost und Speckbrot paradiesisch gewesen.

Aber nicht nur in den Voralpen habe ich plötzlich Lust auf gelernte Advent-Gewohnheiten verspürt: Neulich hatte ich zwischen einem Zahnarzt- und einem Friseurtermin zwei Stunden Stehzeit in der Wiener Innenstadt. Es war sehr kalt an diesem Tag. Obwohl ich in der Vergangenheit weder ein Fan der Christkindlmärkte noch von Punsch war, hätte ich an diesem unwirtlich eisigen Nachmittag viel für so ein Brühgetränk aus Tee, Wein, Rum und Orangensaft gegeben.

Auf der Freyung, wo es sonst alljährlich einen Weihnachtsmarkt mit einer großen Auswahl an regionalen Spezialitäten gab, stand eine schwarze Schiefertafel mit dem Hinweis auf Punsch. „Wollen Sie mit oder ohne Alkohol?“ fragte die freundliche Asiatin hinter dem Verkaufspult. Ich orderte „mit“, berappte 5,90 Euro und staunte nicht schlecht, als ich im Gegenzug einen mit Heißgetränk gefüllten Pappbecher und daneben ein Miniaturfläschchen „Jägermeister“ erhielt. Was ich bis dahin nicht wusste, war, dass unsere neuen Regeln nur den Verkauf von Kinderpunsch erlauben. Ich ersuchte um Stornierung, Punsch gehört doch mit Rum, oder?

Alltagskultur

Unverrichteter Befriedigung meines Spontanbedürfnisses wanderte ich weiter und kam an einem trendigen Küchenzubehör-Geschäft vorbei. Mein Blick fiel auf eine knallbunte Thermoskanne; vielleicht deshalb, weil ich vor einigen Wochen in einer deutschen TV-Sendung gehört habe, was der schwedische Epidemiologe Johan Giesecke Menschen empfiehlt: Man solle sich nicht im Haus verschanzen, denn das sei auch schlecht für die Gesundheit. „Schnappen Sie sich einen Freund und gehen Sie in einem Meter Abstand spazieren. Nehmen Sie eine Thermoskanne mit und setzen Sie sich auf eine Parkbank“, so der Rat des Wissenschafters, auf dessen Expertise auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hört. Die Thermosflasche hielt Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA als Begleiterscheinung einer mobiler werdenden Gesellschaft Einzug in so gut wie alle Haushalte. Erfunden hat das doppelwandige Gefäß der deutsche Glastechniker Reinhold Burger.

Er nannte seine Isolierflasche „Thermos“, das griechische Wort für Wärme. Jetzt, da wir auch Outdoor auf Selbstversorgung setzen müssen, könnte das Stück Alltagskultur nicht nur wegen der vielfältigen, kunterbunten Designs zum Lifestyle-Must-have avancieren.

Ich habe übrigens gleich fünf Flaschen erworben. Schließlich ist in vier Tagen wieder völlig überraschend Weihnachten; gemeinsam mit einer edlen Bouteille Glühwein oder Punsch und einer handgeschriebenen Einladung zum gemeinsamen Spaziergang ein Geschenk, das ebenso erschwinglich wie sinnvoll und nachhaltig ist. – Überdies ist es eine Investition mit sicherer Rendite: Spätestens beim gemeinsamen Genuss in der angezuckerten Winterlandschaft sollte die Freude, die wir gegeben haben, ins eigene Herz zurückkehren.

Kommentare