Johannas Fest: Essen und Emotionen

Oft führt schon die Entscheidungsfindung darüber, was am Heiligen Abend in Topf, Pfanne und zu guter Letzt auf die Teller kommen soll, zu innerfamiliären Glaubenskriegen.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Warum eine einfach in Olivenöl gebratene Brasse mit einem Stückchen Zitrone, lauwarmen Kartoffeln und einem nicht marinierten Salat in der Taverne an einem griechischen Strand ein Festmahl ist, daheim aber ganz und gar keinen Gaumenjubel auslöst? – Es ist das fehlende Setting. Dieses beginnt mit der warmen Lufttemperatur und dem Rauschen der Meereswellen, zieht sich über den mediterranen Service mit Kellnern, die selbst wenn sie gerade einen schlechten Tag haben, charmanter sein können als viele Ober im heimischen Kaffeehaus, und endet bei uns selbst. Am Strand landen wir schließlich eher als Urlauber, denn als Gastarbeiter oder Geschäftsreisende und sind somit meistens ganz entspannt.

Entspannt, wie wir uns wohl auch alle Weihnachten wünschen. Laut Umfragen bleibt es aber in der Mehrzahl der Familien beim Wunsch. Schließlich sind die Aufgaben, die sich Eltern beziehungsweise Gastgeber aufhalsen, zu vielfältig, der Perfektionsanspruch ist zu ambitioniert: Die Geschenke sollen der Hammer sein, bildschön eingepackt, die Wohnung geschmückt wie in den Lifestyle-Magazinen und das Essen haubenreif.

Dabei führt schon oft die Entscheidungsfindung darüber, was am Heiligen Abend in Topf, Pfanne und zu guter Letzt auf die Teller kommen soll, zu innerfamiliären Glaubenskriegen. „Kalte Platte“, „gebackener Karpfen“ oder „gebratene Gans“, das sind schon einmal Optionen, an denen sich bereits Wochen vor dem größten christlichen Fest die Geister scheiden. Der Grund dafür liegt nicht im sachlichen, sondern im emotionalen Bereich. Mit bestimmter Kulinarik, wie etwa den Festtagsspeisen, die unsere Mütter oder Großmütter zubereitet haben, assoziieren wir Glücksgefühle: Sie schmecken nach dem Glück der Wärme und Geborgenheit in einer intakten Familienstruktur. Was wir wie in der Kindheit gegessen haben, prägt sich in unser sensorisches und emotionales Gedächtnis ein und ruft Sehnsucht nach Wiederholung hervor. Liebe geht durch den Magen, heißt es. Die Ingredienzien einer glücklich machenden Mahlzeit sind aber vielfältig und lassen sich teils weder online im Gourmetshop, noch am Markt oder beim Diskonter besorgen.

Immaterielle Zutaten

Wahrer Genuss ist ein gesamtsinnliches Wohlgefühl, das sich maßgeblich in einer bekömmlichen, räumlichen und sozialen Atmosphäre entfaltet. Dieses Ideal ist gerade in unserem Unsicherheitszeitalter gefragt und das nicht nur zur Weihnachtszeit, die Gaumenfreuden gleichen einem sensorischen Anker.

„In einer Welt, die von Gegensätzen geprägt ist, birgt die positiv erlebte Unmittelbarkeit des Geschmacks (ähnlich wie vielleicht Musik) so etwas wie eine temporäre Versöhnung mit dieser Welt“, analysiert die Schweizer Künstlerin, Alltagsforscherin und Gastronomieberaterin Anneli Käsmayr.

Vielleicht hilft gegen den Weihnachtsstress und Disharmonien unter dem Tannenbaum auch ein Blick über den christlichen Tellerrand: Für Suzuki Roshi, einen japanischen Zen-Meister, ist Kochen Arbeit nicht nur am Essen, sondern auch an sich selbst und jenen Menschen, die sich das Mahl einverleiben, diese sinnlich beeinflussen, verführen und stimulieren zu können.

Beim Kochen geht es um Achtsamkeit. Es geschieht im Jetzt, verlangt Präzision, das richtige Timing, Fingerspitzengefühl und Hingabe. Alle diese Tugenden sind nicht nur hinter dem Herd, sondern auch in der Interaktion an der festlichen Tafel gefragt.

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