Johannas Fest: Die Königin des Superfoods

Der überaus charmante Filius, der als Vegetarier zum Sprung über den Ozean angesetzt hat, ist nach sechs Monaten als Klimatarier zurückgekommen.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Konstantin ist sechzehn Jahre alt und ist im Sommer von einem Auslandsemester in Vancouver heimgekehrt. Schon als Zwölfjähriger erwies sich der Teenager als echter Gourmet, der auch selbst gern hinter dem Herd kreativ wurde. Kein Wunder bei den Eltern: Seine Mutter zählt zu den besten Köchinnen, die ich kenne, sein Vater hat einen untrüglichen Sinn für edelste Rebsorten.

Dreizehnjährig mutierte der Teenager wie so viele seiner Altersgenossen zum Vegetarier – eine neue Herausforderung für Mutter Karin, die gemeinsam mit ihrem Mann mehrere Jahre in Paris gelebt hat und die französische Esskultur liebt. Fortan gab es eben hauptsächlich Gemüse auf den Tellern der dreiköpfigen Familie und deren Freunden, die sie häufig zu Gast baten.

Konstantin war damals ein ausgesprochener Avocado-Liebhaber, der sich auf deren Zubereitung meisterlich verstand: Nirgends habe ich eine bessere Guacamole gegessen, sein grüner Salat mit Spalten der einsamigen Beerenfrucht mit Granatapfel- kernen suchte seinesgleichen und das aus Brasilien stammende Rezept für das Avocado-Bananen-Mousse („creme de abacate“) mit Limettensaft als Dessert war haubenreif.

Der überaus charmante Filius, der als Vegetarier zum Sprung über den Ozean angesetzt hat, ist nach sechs Monaten als Klimatarier zurückgekommen.

Den Genuss seiner ehemaligen tropischen Lieblingsfrucht verkneift sich der umweltbewusste Gymnasiast derzeit konsequent. Die „Königin des Superfoods“ ist wegen ihres ökologischen Fußabdrucks vom Tisch unserer Freunde verschwunden. Der Grund dafür war laut Konstantin, dass man die einsamige Beere, die ursprünglich aus Zentralamerika stammt, nicht mit gutem Gewissen genießen könnte. Schließlich ist die Ökobilanz des aus Übersee importierten Stars der Veggie-Kost verheerend.

Ecovado statt Avocado

Die meisten Früchte, die wir hierzulande in den Supermärkten kaufen können, kommen nämlich von weit her: Sie stammen aus Chile, Mexiko, Peru, Südafrika, Kenia oder bestenfalls aus Spanien. Zu ihrem transportbedingt hohen CO2-Fußabdruck kommt der enorme Wasserverbrauch: Siebzig Liter sind laut Schätzungen nötig, um eine einzige Frucht zu produzieren.

Umweltbewusste Avocado-Verweigerer haben deshalb schon vor Jahren versucht, in den sozialen Netzwerken den Hashtag #AvocadoScham zu etablieren. Das hat der rasant steigenden Nachfrage in Europa aber keinen Abbruch getan: In Deutschland zum Beispiel steigt das Importvolumen der hippen Frucht aus Übersee jährlich um zwanzig bis dreißig Prozent.

Laut Food-Trendforscherin Hanni Rützler ist während der Pandemie zwar einerseits das Bewusstsein für Gesundheit und Umwelt gestiegen.

Andererseits haben die Lockdowns eine neue Sehnsucht nach kulinarischen Entdeckungen und exotischen Genüssen geweckt. In Zukunft sollen „Local Exotics“ dieses Paradoxon auflösen.

Vergangene Woche erhielt Konstantin von seinem gleichgesinnten Freund Matthew aus England ein Carepaket. – Der Inhalt: Ecovados, die der Avocado verblüffend ähnlich sehen. Sie bestehen aus regionalen Zutaten wie Bohnen, Haselnüssen, Rapsöl und Äpfeln. Den Kern, der zur Avocado auch optisch einfach dazu gehört, ersetzt eine Walnuss oder Kastanie. – Über einen Ersatznamen für den Guacamole-Dip aus den ökologisch korrekten Ecovados denkt Konstantin derzeit noch fieberhaft nach.

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