Johannas Fest: Auf der Spur der Sterne
„Heute reise ich Hunderte von Kilometern, von einem Land ins andere, um in einem meiner Lieblingsrestaurants zu essen“, bekannte der in Mährisch-Ostrau geborene Gourmet, Feuilletonist und Autor Joseph Wechsberg (1907 bis 1983) in seinem Buch „Forelle blau und schwarze Trüffeln“. Wohin „Die Wanderungen eines Epikureers“ (der Untertitel des Werks) führten, bestimmten die Sterne, die der „Guide Michelin“ gastlichen Einrichtungen verlieh.
Heute nennt man kulinarische Sehnsuchtsorte „Destination-Restaurants“, Gastbetriebe, die entweder Hauptziel einer Reise sind, oder derentwegen man schon einmal von der Autobahn abzweigt und einen größeren Umweg in Kauf nimmt.
Der Guide Michelin wurde erstmals zur Eröffnung der Weltausstellung in Paris am 14. April 1900 in einer Auflage von 35.000 Exemplaren und zunächst ausschließlich auf Frankreich begrenzt herausgegeben. Gestaltet von der Touristikabteilung des Reifenherstellers Michelin, war er als ein Werkstatt-Wegweiser für die weniger als dreitausend Autofahrer gedacht, die es damals in Frankreich gab. 1923 erschienen erstmals Hotel- und Restaurantempfehlungen.
Kulinarischer Olymp
Die Inspektoren – wie die Tester genannt werden – sind meistens speziell ausgebildet und agieren anonym, wodurch die Macher der roten Gourmet-Bibel eine Aura des Geheimnisvollen, ähnlich jener der Freimaurer, umgibt.
Unlängst trafen wir bei einer privaten Einladung einen langjährigen Bekannten. Rudi, im Brotberuf Arzt, fungiert im „Nebenjob“ als Gourmetkritiker. Er testet schon seit Jahrzehnten für einen renom- mierten Restaurantführer Lokale – anonym, mit Herz, Seele und feinsten Geschmackspapillen. Schon als werktätiger Student hat der heute Fünfzigjährige einen Teil seiner Gage in Wiens teuerstes Gourmet-Mekka getragen und dabei seinen Gaumen auf Höchstleistungen der Herdkunst konditioniert. Privat ist Rudi einer, der genießt und schweigt, weder sein kulinarisches noch sein önologisches Wissen heraushängt.
Nur auf unser Drängen hin plauderte unser Tisch- nachbar aus dem Nähkästchen seiner „Geheim- agenden“. Bevor der Oberösterreicher aus dem Salzkammergut als Tester zum „Rachenfeldzug“ auf die Gastronomie losgelassen wurde, stand seine eigene sensorische Treffsicherheit auf dem Prüfstand. Ein halbes Jahr tafelte der angehende „Richter über Geschmackfragen“ sozusagen im Tandem mit einem erfahrenen Gourmetkritiker.
Er aß jeweils dasselbe wie dieser und verfasste dann seine Probe-Gastronomiekritiken, Artikel über Essen, Trinken und Restaurants, Betrachtungen zu kulinarischen Entwicklungen und gastrosophischen Themen.
Ob danach ein privilegierter Traumjob im kulinarischen Olymp hoch über dem Beisl-Dunst winkte? – Nicht ganz. Wie einst Wechsberg legt auch Rudi manchmal Hunderte Kilometer zurück, um dann aber nicht im Lieblingsrestaurant zu landen, sondern auch durchschnittliche Lokale zu testen. Letzteres ist übrigens eine Sache für Eigenbrötler, denn in der Regel tafeln die Gourmetkritiker allein.
Deren Allmacht über Aufstieg und Untergang am Sternenhimmel sieht unser Freund differenziert: Auf zahllosen Foodie-Plattformen im Internet berichten Konsumenten und Blogger über ihre Geschmackserlebnisse. „Letztendlich entscheidet der Gast und nicht der Kritiker; und das nicht erst seit dem Einzug des World Wide Webs“, resümiert Rudi.
Kommentare