Johannas Fest: Der Geschmack der Lagunenstadt
Heuer hatten wir wieder einmal das Privileg, zur Eröffnung des Österreich-Pavillons bei der Biennale in Venedig eingeladen zu sein. Da trifft man schon im Vaporetto, dem Wasserbus der Lagunenstadt, halb Wien oder zumindest dessen kunstliebende Bewohner. Am Ausstellungsgelände in den Giardini herrscht fröhliches Treiben: Heerscharen sind unterwegs von einem der achtzig nationalen Pavillons zum anderen, um sich die Bilder, Skulpturen und Installationen der ausstellenden Länder anzusehen. In Österreichs Kunsttempel gestaltete das Duo Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl „Begehrensräume“. Wer in diese Welt eintritt, lote Grenzen aus: „die Grenze zwischen Kunst und Design, die Grenze zwischen klassischen Geschlechterrollen und nicht zuletzt die Grenze des guten Geschmacks.“, so der Befund einer ORF-Kritik. Bleiben wir beim Thema guter Geschmack: Ich erinnere mich an Restaurants mit ebenso eleganten wie zuvorkommenden Kellnern, die an feierlich gedeckte Tische erlesene Spezialitäten der traditionellen venezianischen Küche servierten und an das so erhebende Gefühl, nach einem solchen Festmahl per Taxiboot in eines der legendären Hotels der Lagunenstadt chauffiert zu werden. Luxus und Hochgenuss, zu dem ich früher dank meiner beruflichen Position eingeladen war.
Tempi passati
Diesmal fiel unser dreitägiger Venedig-Aufenthalt bescheidener aus. – Tempi passati, sagen die Italiener zur Vergangenheit, die nicht mehr wieder kommt: Tausend Euro aufwärts kosteten schließlich die Zimmer von Bauer Palazzo, Hotel Danieli bis Gritti Palace noch ganz ohne Blick auf den Canal Grande pro Nacht und die Arkaden des legendären Grand Hotel des Bains am Lido sind gar zugenagelt; der einst so glanzvolle Bau aus der vorigen Jahrhundertwende, in dem Luchino Viscontis Film „Tod in Venedig“ gedreht wurde, sollte in ein Appartementhaus umgewandelt werden. Wir hatten diesmal wenig Zeit zur Vorbereitung unseres Kurz-Trips. Ein fataler Fehler, wenn man zur Biennale-Eröffnung anreist: Die Gourmet-Tempel waren ebenso ausgebucht wie die erschwinglichen Insider-Tipps. In einer ehemals für ihre authentische Küche gelobten Trattoria am Lido wies die Speisekarte überhaupt nur noch Pizza und Salat auf. „Wir haben kein Personal mehr“, erläuterte die Wirtin achselzuckend den kulinarischen Notstand. Wehmütig erinnere ich mich nach drei Tagen ungesunder Ernährung von Tramezzini, Pizzen und einer mehr als mittelmäßigen Pasta an Zeiten, in denen wir lokale Gaumenfreuden wie „Sarde in saor“ (marinierte Sardinen), „Tagliolini neri alle Mezancolle“ (schwarze Tagliolini mit Scampi, Spargel und Erbsen), „Granseola“ (Seespinne) oder „Fegato a la Veneziana“ (Kalbsleber mit Zwiebeln) genossen. Vor unserer Abreise haben wir aber die Freundinnen und Freunde, mit denen wir regelmäßig bei der Biennale zusammentreffen, eingeladen. Wir holen die typisch venezianischen Tafelfreuden Mitte Mai nach. Bei uns daheim füllen wir unsere kulinarischen Begehrensräume – zwar ohne Kanäle und Gondeln, dafür aber mit erlesenen Ingredienzien und dem Ehrgeiz, diese ohne Zeitdruck zu höchsten Gaumenfreuden zu verarbeiten. – Bei Slow-Food in anregender Gesellschaft werden wir unsere Eindrücke von der diesjährigen Kunstausstellung Revue passieren lassen und in aller Ruhe genießen.
Kommentare