Fabelhafte Welt: Je mehr Butter, Zucker und Schnee, desto besser
Vier Jahre nach dem Ableben meiner Großmutter hab’ ich endlich ihre Keks-Rezepte entschlüsselt und digitalisiert. Meine Oma war eine fantastische Bäckerin. Wahrscheinlich hatte sie die Rezepte großteils im Kopf, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie sie sonst aus diesen minifutzi Kugelschreiberkritzeleien auf geviertelten alten Briefumschlägen schlau wurde, die noch dazu keine einzige Mengenangabe, sondern lediglich Verhältnisse enthielten: doppelt so viel Schnee wie Mehl, davon ein Viertel Butter mit einem Drittel Schokolade. Beim Abtippen hab’ ich mehr über Kekse, ihre Zubereitungsarten und Zutaten nachgedacht als in meinem gesamten bisherigen Leben.
Was meine Omi unter Backen verstand, ist dem, was mein Freundeskreis unter Backen versteht, jedenfalls diametral entgegengesetzt. Diejenigen Freunde, die Kekse nicht beim Bäcker holen, durchlöchern mit hippen Ausstechern Fertigteig. Die Fortgeschrittenen rühren Backmischungen an.
Zuckerstreuseln
Die noch weiter Fortgeschrittenen verfeinern die Ergebnisse mit Zuckerstreuseln. Der Rest meines Umfelds wiederum süßt mit Agavensaft und verwendet Milch, die noch eine Kuh gesehen, sowie Mehl, das noch keinem Getreide seine Aufwartung gemacht hat. Stolz werden dann Rezepte geteilt, die ohne tierische Zusätze, raffinierten Zucker oder Zeit im Ofen auskommen, auf dass die Kekse möglichst gesund sind (und leider auch so schmecken).
Für Omas Rezepte hingegen gilt: Je mehr Butter, Zucker und Schnee, desto besser. Dass etwas schnell gehen muss, ist keine Kategorie, vielmehr benötigt man für einige Kreationen mehrere Arbeitsschritte mit Pausen. Das Ziel aller Rezepte ist klar: kleine Kunstwerke aus Kalorien mit Creme oder Guss, die anzuschauen Spaß bringt und zu essen glücklich macht.
Ich vermute, als der liebe Gott am vierundzwanzigsten Tag das Keks erschuf, hatte er genau das im Sinn.
vea.kaiser@kurier.at
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