Barbara Kaufmann: Die Satten und die Unzufriedenen
Es liegt eine seltsame Anspannung in der Luft. Eine Stille, die nur darauf zu warten scheint, von einem Knall zerrissen zu werden. Es ist nicht das schlechte Wetter, das die Menschen unruhig macht, nicht das drohende Gewitter, das die Luft vibrieren lässt. Es ist der Hass, der nur auf eine Gelegenheit harrt, sich endlich entladen zu können.
Draußen vor der Tür auf den Straßen ist alles ruhig. Die Busse kommen pünktlich, die Mistkübel sind geleert, die Straßen am Morgen frisch gefegt. Aber es ist diese Ruhe, die Angst macht. Die Gänsehaut erzeugt. Die einen schlecht schlafen lässt. Es ist die Ruhe, mit der plötzlich Unsagbares ausgesprochen und geschrieben wird. Wünsche und Verwünschungen, die früher undenkbar gewesen wären. Es ist der ständige Tabubruch und die Gelassenheit, mit der er begangen wird. Behauptungen, Entmenschlichungen, Vernichtungsfantasien, die früher, es ist noch gar nicht lange her, für laute Gegenrede gesorgt hätten. Dafür, dass ein Text so nicht erschienen wäre. Weil man Verantwortung hatte.
Haltung
Dafür, dass man den ruhigen Redner ob seiner Ruhe zur Rede gestellt hätte. Weil man Haltung hatte. Es ist die Ruhe, mit der Schlagzeilen verfasst werden, mit der Bilder in Umlauf gebracht werden, die man bewusst erschafft. Am Reißbrett, in Friedenszeiten, ohne das die Fußgängerzone durch das Fenster blutet.
Bilder vom Krieg. Bilder, in denen die Jagd auf Menschen geübt wird, geprobt wie Szenen aus einem apokalyptischen Film. Inszeniert und dargeboten vor einem Publikum auf extra errichteten Tribünen wie einst im alten Rom. Es sind diese Bilder, die beklatscht werden am nächsten Morgen beim Bäcker. „Ich tät sie alle erschießen“, sagt da ein junger Mann im Polohemd in aller Ruhe. „Es muss endlich die Endlösung her“, sagt der neben ihm, nicht viel älter, ebenso ruhig. Seine Frau nickt nur und bestellt noch zwei Salzstangerl, weil die so schön knusprig sind an den Enden. Während ein gebrechlicher Mann mit Hut kopfschüttelnd und murmelnden das Geschäft verlässt. Als würde er sich denken: wie können sie nur! Und nicht mehr die Kraft haben, um es auszusprechen.
Es sind nicht die Verzweifelten, die in Vernichtungsfantasien schwelgen morgens beim Bäcker, die hetzen und hassen und drohen, wenn man dagegen ist.
Es sind die Satten und die Unzufriedenen. Die, die alles haben, die in Frieden leben, gut versorgt, ohne Not und ohne täglich kämpfen zu müssen. Fast scheint es so, als ob ihnen der Lärm des Mobs gefehlt hätte, das Rohe und das Unzivilisierte. Das Hetzen dürfen, das Toben und das Hassen. Das Provozieren, das Hintreten, das Aussprechen von allem, was noch bis vor kurzem unsagbar war. Nicht aus Verzweiflung, nicht aus Angst und Ohnmacht, sondern aus purer Lust an der verbalen Gewalt. Es sind die politisch Verantwortlichen, die keine Verantwortung mehr übernehmen wollen, die ihnen nichts entgegenhalten. Weil sie die Menschen nicht mehr zusammenhalten wollen. Weil es ihnen mehr nützt, sie zu entzweien.
Es liegt eine seltsame Anspannung in der Luft. Man muss sich zusammen tun, man muss aufstehen, man muss dagegen halten. Denn, wenn der Knall kommt, der sie zerreißt, wird es vielleicht zu spät sein.
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