Barbara Kaufmann: Die Enge
Die Hitze hat uns fest im Griff, liest man überall. Und wirklich fühlt es sich so an, als würde man festgehalten und könnte sich nicht losreißen. Weglaufen wäre auch sinnlos. Erst recht, wenn man arbeiten muss bei diesen Temperaturen, mitten in der Stadt und rundherum der Beton glüht. Die Hitze zwingt einen in die Isolation, dazu sich zurückzuziehen, sich abzuschotten.
Man schließt die Fenster, man zieht die Jalousien nach unten, man bunkert sich ein. Alles ist dunkel, alles ist ruhig, nur die Windmaschine surrt durch die stille Wohnung.
Es ist seltsam, dachte ich mir nach ein paar Tagen, wenn man ständig im Dunklen tappt. Wenn man nicht genau weiß, ob es draußen Tag ist oder Nacht. Es ist sonderbar, wenn man die eigenen vier Wände zu lange nicht verlässt. Einerseits ist es sicher, es gibt keine Überraschungen. Man weiß, was einen hinter jeder Tür erwartet. Wie ein Adventskalender, den man selbst befüllt hat.
Andererseits steigt die Angst vor dem, was draußen vor sich geht. Vor dem Unerwarteten, dem Unbekannten, dem Fremden. Ein altes Lied der Goldenen Zitronen aus Hamburg fällt einem plötzlich wieder ein. „Im Binnenland tut man sich schwer, die Ferne zu verstehen. Man lässt nichts rein, man lässt nichts raus. Und inzüchtig wird man untergehen.“ In der Enge wächst die Furcht. Die Furcht vor der Weite, vor dem, was kommen könnte. Vor allem, was nicht vertraut ist.
Enge macht misstrauisch.
In ihr gedeihen Angst, Irrationalität, Irrglaube.
Der Irrglaube, man wüsste etwas über den anderen, darüber, was er erlebt hat, was er durchmacht, nur weil man ihn täglich aus der Ferne sieht. Der Irrglaube, es ginge einem besser, wenn es den anderen schlecht geht. Der Irrglaube, man hätte mehr, wenn andere weniger haben.
Enge macht ängstlich.
Kleiner Garten, kleines Haus und die Schrebergartenmentalität regiert. Nur bis zum Zaun gehen und nicht weiter! Alles Feind! Als Sichtschutz werden Thujenhecken gepflanzt, um sich dahinter verbergen zu können. Um den Nachbar nicht mehr sehen, um ihn nicht mehr in die Augen blicken zu müssen. Um seine Ruhe zu haben. Zur Sicherheit legt man sich einen Hund zu und hört auf jene, die ihn scharf machen. Man kultiviert die Grenzen, die man freiwillig um sich errichtet hat. Und versperrt sich selbst den Blick darauf, was hinter ihnen liegt.
Enge macht uneinsichtig.
Weil man irgendwann nur noch die eigenen Gedanken hört. Wenn da niemand mehr ist, der anders denkt. Keiner, mit dem man sich austauschen kann, der einem nicht nur zustimmt, sondern viel wichtiger, auch widerspricht. In der Enge sind Verschwörungstheorien beliebt. In der Enge ist jeder verdächtig. In der Enge sind alle Antworten sehr einfach. Weil man sie sich selbst gibt.
Wie gut es tut, aus der Enge auszubrechen. Abends nach Sonnenuntergang nach draußen zu gehen und durch die Straßen und Gassen zu spazieren. Den Blick schweifen zu lassen, auch wenn es Nacht ist, die Weite zu genießen.
All die fremden Menschen zu beobachten, die angeblich so anders sind, weil sie anders aussehen, sich anders kleiden, anders denken und die doch nur das gleiche wollen. Den Tag friedlich zu beenden, sicher heimzukommen und die Hitze zu vergessen.
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