Streamen gegen die Einsamkeit #02: Es bleibt ein Atem gegen das "bürgerliche Trauerspiel"

Szenenprobe aus "Bürgerliches Trauerspiel" im Theater Kosmos Bregenz
"Streamen gegen dieEinsamkeit #02": Eine Video-Aufzeichnung des jüngsten Stücks vom aktionstheater ensemble ist nun online abrufbar.

Wie schon beim ersten Lockdown im Frühjahr beitet das aktionstheater ensemble "Streamen gegen die Einsamkeit an. Waren es damals Aufzeichnung älterer Stücke, so nun eine der aktuellen Produktion "Bürgerliches Trauerspiel".

Die vom Ensemble freigeschaltete Produktion darf von den BenutzerInnen, je nach Möglichkeit, finanziell unterstützt werden, soll aber in erster Linie als Beitrag gesehen werden „Angst, Frust, Wut und Traumata des Einzelnen auf eine Metaebene zu transferieren. Da dies ja nicht zuletzt auch eine essentielle Aufgabe der Kunst ist“, meint Martin Gruber, Autor und Regisseur auch dieses Stücks. Statt einer späteren Wideraufnahme kündigt Gruber an: „Was nach dieser Traumaverarbeitung sinnstiftend ist, wie sich die allgemeine Stimmungslage abermals einfangen lässt, wird sich künstlerisch und aufführungstechnisch noch weisen: Geplant ist eine Produktion, die kein Stück mehr sein will oder muss: Lonely Ballads - aktionstheater ensemble Songbook“. Die Aufführungstermine werden demnächst bekanntgegeben. 

Über das aktuelle Stück

„Ma, ich bin so super! Was und wie ich nicht gut bin und helfe - auf der Welt. Schlepp ich doch tatsächlich zwei Kilo Seife mit in meinen Urlaub auf Kuba – knapp vor dem Lockdown. Und dann diese Undankbaren. Leg ich zwei Seifen zwischen zwei Obdachlose und schnappt sich doch glatt einer der beiden die zwei Stücke, tstststs…“ – so der Subtext einer der vielen sarkastischen Szenen in „Bürgerliches Trauerspiel“, dem neuesten Stück von „aktionstheater ensemble“.

Wenige Tage vor der Premiere durfte der Kinder-KURIER eine durchgehende Probe im Bregenzer Theater Kosmos miterleben – und die (fast) letztgültige Textversion lesen. Obwohl lange vor Corona, Lockdown geplant – eine Koproduktion u.a. mit dem Linzer Landestheater – dreht sich vieles – vordergründig nun um das Virus und seine Folgen. Ja, die Proben waren für die zweite Märzhälfte geplant. Ab 29. September ist das Stück im WerkX in Wien-Meidling zu erleben. Und aufgrund eines eänderten, dynamischen Sitzplanes, gibt es nun doch noch Karten.

Streamen gegen die Einsamkeit

Mit Beginn des Lockdown schickte die Theatergruppe professionelle Aufzeichnungen von Stücken aus den vergangenen elf Jahren ins Netz – „Streamen gegen die Einsamkeit“ war das Motto – siehe Link hier unten:

Nabelschau

Wie viele anderen Gruppen begann das aktionstheater ensemble dann in Videokonferenzen zu proben. Und wie für diese Gruppe typisch brachte jede und jeder höchst persönliche Erlebnisse und Gedanken ein – aus denen versucht wird, allgemeingültige Grundhaltungen uns –stimmungen der gegenwärtigen Gesellschaft herauszudestillieren. „Bürgerliches Trauerspiel“ – wie schon erwähnt, lange davor geplant – sollte das saft- und kraftlos gewordene Bürger_innen-Tum darstellen, gewissermaßen auch demaskieren. Was als Revolution gegen die Feudalgesellschaft vor mehr als eineinhalb Jahrhunderten begonnen hatte, wehrt sich längst gegen notwendige Veränderungen, gleitet in der Beharrung aber ab in eine neue Biedermeierlichkeit, in den Rückzug auf das Kreisen rund ums eigene Ich – eine Art ausgedehnter Nabelschau.

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Szenenprobe aus "Bürgerliches Trauerspiel" im Theater Kosmos Bregenz

Bedeutungsschwanger

Nicht nur) objektiv betrachtet Banales wird zu Riesendingern aufgeblasen. Vom bedeutungsschwanger in den Raum geworfenen Satz „Im Frühling, während der Quarantäne, wurde mir bewusst: Ich mag keine süßen Getränke…“ über das Alk-Tagebuch in den Corona-Monaten bis zur Debatte, wie ein richtig gutes Gulasch gekocht werden sollte. Vom Aufräumen des Kellers bis zur  These, Möbel aus Einrichtungshäusern sollten erst gar nicht den Umweg über Nutzer_jnnen nehmen, sondern gleich auf dem Müll landen…

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Szenenprobe aus "Bürgerliches Trauerspiel" im Theater Kosmos Bregenz

Pseudeo-Menschlichkeit

Und immer wieder auch Bitzlichter auf Pseudo-(Mit-)Menschlichkeit: Von der schon angesprochenen Seifen-Geschichte aus Kuba über Spenden von Ausgemistetem, die mit dem SUV abgeliefert werden bis zum Lamento, die schrecklichen Szenen aus der Welt nicht mehr sehen zu können, aber doch irgendwie wenigstens einmal am Tag kurz an diese Menschen zu denken…

Dargestellt in Szenen, in denen jede und jeder um die Aufmerksamkeit kämpft, sich in den Mittelpunkt stellen will - und sich dabei möglichst gut vorkommt – siehe die eingangs beschrieben Szene.

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Szenenprobe aus "Bürgerliches Trauerspiel" im Theater Kosmos Bregenz

Zusammenspiel mit Live-Musik

Höchst unterschiedlich spielt sich das auf der Bühne ab – einzelne Szenen wie fast zusammenhanglose Puzzle-Teile, die einzelne Aspekte dieses „Trauerspiels“ des Bürgerlichen aneinanderreihen. Szenen gespielt von Michaela Bilgeri, Horst Heiß, Thomas Kolle und Benjamin Vanjek, die für sich sprechen. Im Wechsel- und mitunter Kontraspiel mit der von drei Seiten kommenden Live-Musik – Schlagzeug aus dem Bühnen-Hintergrund (Alexander Yannilos), Gitarre von rechts (Kristian Musser) und vor allem genialem schwebenden Stimmteppich (Nadine Abado) von links (vom Publikum aus gesehen). Vor allem das Zusammenspiel von Abado und Musser – quer über die Bühne – wirkt fast wie der Atem, der viel zu wenig beachtet wird, weil er ständig da ist, aber erst das Leben am Laufen hält, dafür unerlässlich ist. Vielleicht manifestiert sich genau darin jener „unverbesserliche Optimismus“, den Martin Gruber, so etwas wie Mastermind hinter dem in den vergangenen Jahren mehrfach offiziell ausgezeichneten aktionstheater ensemble und Regisseur auch dieses Stücks, vertritt, „weil Pessimismus kann jede/r!“, auch wenn die herrlichen Demaskierungen – in dem Fall des „bürgerlichen Trauerspiels“ diesen fast näher legen würden.

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Bürgerliches Trauerspiel

Wann beginnt das Leben, ein aberwitziger, anarchischer Abgesang auf ein Leben wie es einmal war
ca. 70 Minuten

Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble in Koproduktion mit Landeshauptstadt Bregenz/Bregenzer Frühling, Landestheater Linz, in Kooperation mit Werk X

Text: Martin Gruber, aktionstheater ensemble und Wolfgang Mörth
Regie: Martin Gruber
Es spielen: Michaela Bilgeri, Horst Heiß, Thomas Kolle, Benjamin Vanjek und Kristian Musser, Nadine Abado, Alexander Yannilos.

Dramaturgie:  Martin Ojster, Andreas Erdmann
Musik: Kristian Musser, Nadine Abado, Alexander Yannilos
Bühne, Kostüme: Valerie Lutz
Regieassistenz: Tanja Regele, Hacer Göcen

Wann & wo?
Wien
29. September bis 3. Oktober 2020
Werk-X
1120, Oswaldgasse 35A
Telefon: (01) 535 32 00-11
www.werk-x.at

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