Junge oder Mädchen? Ist das (so) wichtig?
„Du bist ein Mädchen!“ als nicht gerade freundlich gemeinte Bezeichnung. Spielzug, das jahrzehntelang geschlechtsneutral war - wie Lego - und seit mehr als zehn Jahren in Mädchen- und Buben-Linien daherkommt. 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich, Frauenvolksbegehren 2.0 im Vorjahr - mit im wesentlichen gleichen Forderungen wie 20 Jahre zuvor, weil die in der Zwischenzeit nicht verwirklicht wurden... Rollenzuschreibungen und das Hinterfragen solcher Klischees spielen seit einiger Zeit auch (wieder) eine große Rolle in Theaterstücken für Kinder und Jugendliche.
„Theater Jugendstil“ tourte mit „Gleich ≠ Gleich“ durch Niederösterreich und Wien, wo einmal sie und einmal er am Drücker war und beide A...-loch-Verhalten am Ende nicht gut fanden (Bericht über dieses Stück weiter unten).
Das Grazer Jugendtheater Next Liberty tourt(e) mit einem fetzigen Klassenzimmerstück durch Schulen und bespielt sogar einen Instagram-Account, ccsgenderchannel.
Einwöchiges „Genderwahn“-Festival
In den vergangenen Monaten widmeten sich auch die verschiedenen Werkstätten für Kinder bzw. Jugendliche im Theaterhaus Dschungel Wien diesem Thema, ob „Wildwechsel“, „Wildwasser“, „Wildwuchs“, „Wildfang“ oder der Theater:Klub. Seit dem ersten Mai-Wochenende - bis zum Muttertag (!) - zeigen die Kinder bzw. Jugendlichen Ergebnisse ihrer Arbeit vor Publikum.
Körpertausch
In „Ich bin du. Bist du ich?“ der „Wildwasser“-Werkstatt spielt Lobo gern mit Puppen, was ihm der Vater untersagt. Seine Schwester Leonie ist in ein Mädchen verliebt, wofür ihre Freundinnen und Mitschülerinnen sie fertigmachen. Da hauen sie von zu Hause ab, landen in einem Zirkus. Dort wollen sie das ultimative Kunststück, das auch den in Not geratenen Zirkus retten würde, zustande bringen - Körpertausch. So, denken sie, könnten sie so sein wie sie wollen. Natürlich ist auch das nicht DIE Lösung, im anderen Körper, der jeweils zu groß bzw. zu klein ist, fühlt sich’s nicht gerade wohlig an. Aber nach der Rückverwandlung stehen sie wenigstens dazu, ihre eigenen (Vor-)Lieben nicht mehr unterdrücken zu wollen.
Ein wenig plakativ überfrachtet wirkt dieses Stück, wenn dann auch noch der Herr Zirkusdirektor schwanger wird, nur um bei der Geburt zum Schluss-Dialog zu kommen: „Das Baby kommt!“ _ „Wird es ein Junge oder ein Mädchen?“ - „Das ist doch nicht so wichtig!“
Szenenfotos aus „Ich bin du. Bist du ich?“
Auferstehung aus der Erde
Fast geschlechtsneutral „wachsen“ die Darsteller_innen von „Mensch ist Mensch“ (Werkstatt „Wildwechsel“) sozusagen aus einer mit Erde gefüllten Sandkiste. Die zehn Mädchen und der eine Bursch stecken in lauter gleichen weißen Overalls. In ihren Texten switchen sie - immer wieder auch in Chören wie im antiken griechischen Theater sprechend von Szenen eines solchen ins hier und heute. Die noch immer mit Händen zu greifende Ungleichbehandlung von Frauen und Männern kommt vielleicht am stärksten in die Szenen der Bewerbung für verschiedene Jobs zum Ausdruck. Technische Stelle, Frau mit überdurchschnittlich guten Noten insbesondere in Mathe, doch „wir melden uns...“
Dass aber selbst unter engagierten Menschen eine große Lücke zwischen allgemeinem Anspruch und konkreter Haltung klafft, bringen die Jugendlichen in einigen kurzen Szenen auch zum Ausdruck. So wird jene, die nicht Schauspiel, Tanz, Schriftstellerei usw. als ihren Berufswunsch nennt, sondern Robotik, sehr massiv bedrängt und in Frage gestellt. Und der einzige Bursch wird eher ausgelacht, als er davon spricht, in Väterkarenz gehen zu wollen.
Damit thematisieren die Jugendlichen dieser Werkstatt Rollenklischees, die selbst unter ach so aufgeklärten liberalen Menschen (noch?) nicht überwunden sind.
Übrigens: Gegen Ende des Stücks steigen die Darsteller_innen aus ihrer Erd-Kiste, gehen aufs Publikum zu und konfrontieren einzelnen Zuschauer_innen mit konkreten Fragen.
Szenenfotos aus „Mensch ist Mensch“
Spannende Wanderung mit viele Fragen…
(Starker) Regen und vor allem Kälte hielten Ines Kaiser, Anna Khoudokormova, Julian Roninger, Teresa Pastor und Lilja Schneider nicht davon ab, die Premiere des Genderparcours „Masken und Fassaden“ Sonntagabend durchzuziehen. Weiße Halbmasken verdecken ihre Gesichter. Knallbunte Perücken zieren ihre Köpfe. Rund eine Stunde geleiten sie das Publikum durch weite Teile des MuseumsQuartiers. Die gehenden Zuschauer_innen bekommen über MP3-Player Gedanken, vor allem aber Anregungen und Fragen, ihre eigene Sichtweise zu Mann-Frau-Schubladen zu erkennen und zu hinterfragen. In manchen Passagen wäre allerdings ein bisschen weniger Schwarz-Weiß-Malerei (ur-)alter Klischees auch kein Schaden gewesen, der dann eher zu einer „eh kloar“ oder „no-na-ned“-Haltung führen könnte.
An manchen Stationen performen die fünf Tour-Guides - mitunter heftig. Zu viel sei nicht verraten, sollen doch spätere Mit-Spazierende sich auf diesen Audio-Walk einlassen.
Fotos vom Genderparcours "Masken und Fassaden"
Wer ist wer – wer bin ich?
Schreiende, jubelnde, weinende, total enthemmende Hand- und Körperbewegungen angesichts eines jungen, laufenden, dribbelnden Menschen in einem Fußballdress.
Und dann beim selben kickenden Menschen sehr zurückhaltendes Publikum, eher mit Selfies beschäftigt.
Wer glaubt, dass die einen männlichen und die anderen weibliche Fans sind? Das fragen die acht jungen Darsteller_innen der jüngsten der Theaterweil-Werkstätten beim abschließenden Showing.
Auch sie spielen mit und rund um Schubladen und Geschlechterklischees zum Jahresschwerpunkt Gender. Und das in der halben Stunde immer wieder mit Humor, etwa wenn ein- und dieselbe Szene mit vertauschten Rollen gezeigt wird.
Szenenfotos aus "Wer ist wer – wer bin ich?"
Ausstellungen
Im Foyer des Theaterhauses stehen übrigens Skulpturen, die Schüler_innen des Brigittenauer Gymnasiums angefertigt haben. Die hatten sich dafür von den „Nanas“ der Künstlerin Niki de Saint Phalle anregen lassen, die starke, farben- und lebensfrohe Körper schuf.
Außerdem finden sich Bilder und Objekte, die Jugendliche aus dem culture_lab von „Spacelab“ gestaltet haben und sich dem Thema Gender aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen, mit durchaus auch gegensätzlichen Standpunkten genähert haben.
Infos: Was? Wer? Wann? Wo?
Theaterwild:Festival
Ich bin Du. Bist Du Ich?
Schauspiel, 70 Minuten
Wenn wir Körper tauschen könnten, wie denken wir dann über Geschlechterrollen?
Konzept, Regie: Philip Aleksiev
Choreografie: Tamara Vobruba, Theresa Aschauer
Darsteller_innen: Ardiana Halimi, Mateusz Jankowski, Flora Konecny, Nino Emile Mayrhofer, Ayse Üzülmez, Luise Vlasta, Nico Werner Lobo de Rezende, Santo Wesenjak, Tymon Zaleski Wisniewski, Xiyuan Martin Pu
Hospitanz: Katharina Fischer
Bis 8. Mai 2019
Dschungel Wien, Bühne 3
Mensch ist Mensch!
Schauspiel mit Tanz, ¾ Stunde
Eine Stückentwicklung zur Geschlechteridentität in unserer Gesellschaft
Konzept, Regie: Aurelina Bücher
Mitarbeit: Gilles Becker, Sebastian Thiers
Choreographie: Jasmin Avissar
Ausstattung: Maria Wiebersinsky
Darsteller_innen: Livia Andrä, Chandra Birkhan-Dhellemmes, Antonia Brandl, Alina Kvam, Lara Drobics, Luisa König, Lea Leitner, Elsa Romen, Elisa Svoboda, Mia Topalović, Lovis Vincent
Hospitanz: Pia Harr
Bis 8. Mai 2019
Dschungel Wien, Saal 2
Masken und Fassaden. Ein Genderparcours
Audiowalk im öffentlichen Raum, eine Stunde
Spielleitung: Jonathan Achtsnit
Hospitanz: Sarah Pallauf
Sound: Valentin Danler
Darsteller_innen: Ines Kaiser, Anna Khoudokormova, Julian Roninger, Teresa Pastor, Lilja Schneider
Bis 11. Mai 2019
Ausgangspunkt: Dschungel Wien
Absage bei Schlechtwetter vorbehalten!
Magenta
Schauspiel und Bewegungstheater, 70 Minuten
Eine Reise durch verschiedene Geschlechterwelten
Regie: Charly Vozenilek
Darsteller_innen: Thomas Akinmuko, Adriana Bauer-Klučarić, Anna Decker, Moritz Durst, Yuzin Sarah Fürlinger, Valentina Hergge, Valentin Huhle, Lucy Kucer, Matilda Plank, Flora Raunig, Christopher Rohr, Yannic Schober, Damiano Stecher, Linda Wagner, Theodor Wagner, Carolin Wotschke
Mental-Coach & Trainerin: Alina Julia Forstner
Hospitanz, Choreografie: Naima Rabinowich
Philosophische Begleitung: Max Glatz
Bis 10. Mai 2019
Dschungel Wien
Wer ist wer – wer bin ich?
Showing der Theaterwild:Werkstatt „Wildfang“
Leitung: Rosa Braber
Darsteller_innen: Sophie Abdel-Qader, Sama Al Jumaili, Emile Appelbaum, Jascha Biedermann, Karla Parkash, Rosa Schachinger, Max Manteuffel, Madeleine Wilt, May Zohar
Hospitanz: Katharina Zoffmann
11. Mai 2019, 18 Uhr
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20-20
www.dschungelwien.at
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