Initiative kommt ins Parlament: Nein zum Ziffernnoten-Zwang
Freitag um die Mittagszeit brachten Initiativen von Vorarlberg über Salzburg bis Wien formal eine parlamentarische Bürger_innen-Initiative in der Direktion des Hohen Hauses ein: Nein zum Zwang, (wieder) Ziffernnoten verteilen zu müssen und JA zur Autonomie – in jeder Schule soll eigenständig – von Schüler_innen, Lehrer_innen und Eltern – entschieden werden, ob umfassende, qualitative, aussagekräftige Leistungsbeurteilungen oder eben Ziffernnoten im Zeugnis stehen.
Mit im Gepäck hatten sie rund 23.000 Unterschriften – in einer Schultasche. Allein 12.000 kommen aus Vorarlberg, wo die Volksschule Kirchdorf in Lustenau Anfang dieses Jahres für österreichweites Aufsehen gesorgt hatte: Alle Schüler_innen sollten, wenn es schon wieder einen Zwang zu Ziffernnoten gibt, einheitlich ein GUT bekommen. Das konnte angesichts des Drucks der Schulbehörden nicht durchgehalten werden, „außerdem wollten wir im Dialog mit diesen bleiben“, hofft Simone Flatz, Lehrerin, Mutter und Mit-Initiatorin des Vorarlberger Vereins „Gemeinsam Zukunft lernen“. Gut ein Drittel der Vorarlberger Unterzeichner_innen dieses Anliegen hatten auch noch begründet und kommentiert, weswegen sie dafür sind.
Gespräch mit einer Abgeordneten
Zur symbolischen Übergabe der Unterschriften und Argumente ans Parlament – mit Sibylle Hamann, der Bildungssprecherin der Grünen war auch eine Nationalrats-Ageordnete gekommen – zwei Jugendliche. Ida Berger und Jonathan Kraus besuchen beide die Integrative Lernwerkstatt Brigittenau, wo seit der Gründung (vor mehr als 20 Jahren) keine Ziffernnoten vergeben werden – außer im Abschlusszeugnis für den Übertritt in andere Schulen.
Und schon wird verglichen...
Kaum werden Ziffernnoten ins Zeugnis geschrieben, beginne schon der Vergleich was hast du in dem Fach und in jenem für eine Note. Vorher haben wir nicht nur mehr Spaß beim Lernen gehabt, sondern uns auch verglichen was kannst du, was kann ich… - berichten beiden übereinstimmend dem Kinder-KURIER.
Kurzer, beeindruckender Film
In den vergangenen eineinhalb Wochen entstand übrigens in dieser Schule ein ca. sechsminütiges Video, in dem Kinder, Lehrpersonen und Eltern aus der Praxis lebensnah schildern, wie lernen ganz ohne Ziffernnoten funktioniert – und das Leistung eher fördert statt diese fürs Strebern auf Noten zu behindern.
In diesem erklärt etwa Lino, während es in den KEL (Kinder, Eltern, Lernbegleiter_innen)-Gesprächen darum geht, was ich weiß, wird bei Noten immer nur verglichen. Und Zoe birngt eine grundlegende Weisheit aus der Pädagogik knappest auf den Punkt, Um gut zu lernen, muss es dir gut gehen.
Der Film entstand übrigens bewusst nach dem Coroan-bedingten Lockdown. Selbst in dieser Schule, in der Partnerschaft immer ein wichtiges Element ist, sind viele Eltern erst draufgekommen, wie differnziert hier Lernen funktioniert. Sie sähen sich außerstande selbst nur ein einziges eigenes Kind leistungsmäßig mit einer Ziffernnote zu beurteilen.
So müssen wir gehört werden!
Auf die Idee zu einer parlamentarischen Bürger_innen-initiative kam unter anderem Barbara Trautendorfer, „weil wir vom Bildungsminister auf Anfragen und eMails nicht einmal eine Antwort bekommen haben, jetzt müssen unsere Anliegen und wir gehört und in einem Parlaments-Ausschuss behandelt werden.“
Quer durch Österreich
(Wieder) weg mit dem Notenzwang – mehrere Initiativen quer durch Österreich haben in den vergangenen Monaten – vor dem Corona-Lockdown – dazu Aktionen gesetzt und vor allem Unterschriften gesammelt. Für auch überregional einige mediale Aufmerksamkeit hatte jene aus der Volksschule Lustenau Kirchdorf (Vorarlberg) gesorgt. Unter „NEIN zum Notenzwang, JA zur Wahlfreiheit der Beurteilungsform“ waren in acht Wochen 12.000 Unterschriften zusammengekommen.
Die Salzburger Petition „Zurück zu den Schulnoten – nein danke!“ brachte es auf 3.600 Unterschriften.
„Nicht über die Köpfe unserer Kinder hinweg“ startete als „Kinderköpfe“ ebenfalls eine Petition – weitergehend – für eine evidenzbasierte Bildungspolitik. Wissenschaftlich bringen Ziffernnoten nichts, Bildungsminister Heinz Faßmann hatte das angesichts des Pädagogikpakets der schwarz/türkis-blauen Regierung auch zugestanden, aber wiederholt gemeint, Wissenschaft sei nicht so die Leitlinie seines Handelns. Diese Petition wurde von 5.500 Menschen unterstütz.
Schließlich hat auch die Wiener Elterninitiative „Schule.schafft.Autonomie“ schon 2.400 Unterschriften gesammelt.
Vertreter_innen aus den genannten Initiativen werden nun am Freitag, 5. Juni am Vormittag eine Parlamentarische Bürger*innen-Initiative in der Parlamentsdirektion einbringen. Damit kann diese Initiative online auf der Internetseite des Parlaments unterzeichnet werden. Und das Anliegen muss in einem Ausschuss des Nationalrates behandelt werden.
Für kindergerechte Schulen
Schulen sollten doch wenigstens autonom entscheiden können, ob sie ohne oder mit Ziffernnoten auskommen, wenn diese nicht einfach generell abgeschafft würden – das ist nicht nur das Anliegen der genannten Initiativen. Diese Grundhaltung – auch für andere wichtige Themen durchzog viele der Statements von Schüler_innen, Pädagog_innen, Eltern und Wissenschafter_innen bei einem Pressegespräch am Vortag der genannten Übergabe im Parlament.
Eingeladen hatte schaumonito (Schulautonomie Monitoring Österreich), Untertitel: überparteiliches Netzwerk für kindergerechte Schulen. Dass es ein solches braucht, deutet auf nicht gerade wenige zentrale Fehler im Schulsystem hin – merkte nicht nur der Mitgründer, Josef Reichmayr an. Bis zu seiner Pensionierung im Vorjahr leitete er die von ihm initiierte ILB (Integrative Lernwerkstatt Brigittenau). Vor 21 Jahren als Volksschule gestartet, lernen hier seit zehn Jahren Kinder und Jugendliche bis zum Abschluss des achten Schuljahres – in jeweils drei, am Ende zwei Schulstufen umfassenden Mehrstufenklassen. Bislang ohne Ziffernnoten bis zum vorletzten Schuljahr.
Ohne Noten geht's mehr um die Inhalte
Solche seinen ihr bisher auch überhaupt nicht abgegangen, die ausführlichen gemeinsam besprochenen Leistungsbeurteilungen hätten ihr auch mehr über ihre Stärken und mögliche Schwächen innerhalb eines Gegenstandes gezeigt als eine Ziffer für ein ganzes Fach, so Marie Pöckl aus der genannten ILB. Dort ist sie im vierköpfigen Team der Schüler_innen-Vertretung. Schon seit ihrem zweiten Schuljahr setzt sie sich immer wieder als gewählte Vertreterin für ihre Mitschüler_innen ein. Das reicht von der (Mit-)Organisation von Schulveranstaltungen bis zum Engagement bei den Fridays for Future. Sie, die nun erstmals Ziffernnoten bekommen hat – wofür sich die Lernbegleiter_innen fast entschuldigt haben, weil sie das tun müssen – „kann nicht nachvollziehen, warum die Noten nicht ganz abgeschafft werden. Ohne Noten ist das Lernen viel lockerer und es geht um Verbesserungen in der Sache und nicht für eine bessere Note.“
Hier geht's zur Online-Unterstützung der Petition auf der Parlamentsseite:
Parlament -> Gegen Zwang zu Ziffernnoten
#lernegerne
1. Schulautonomie: Minimierte zentrale Prämissen, maximale Umsetzungsfreiheit an den Schulen, professionelle externe und behördenunabhängige Begleitung des Autonomie-Prozesses
2. Für eine gemeinsame kindergerechte inklusive Schule ALLER Schüler*innen von 6 – 15 Jahren
3. Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Unterrichtsqualität
4. Innovative Wege in der Sprachförderung mit stärkerer Verankerung von Mehrsprachigkeit und entsprechenden Förderressourcen
5. Für eine soziale Durchmischung von Anfang an (das heißt ab dem Eintritt in den Kindergarten, Bildungspflicht ab dem 4.Lebensjahr)
6. Ausweitung eines kostenfreien und für alle Schüler*innen zugänglichen Ganztagsangebots in allen Bildungseinrichtungen
7. Neue Grundkonzeptionierung der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pädagog*innen
8. Förderung partizipativer kommunaler Entwicklungskonzepte
9. Ausreichende und qualitativ entsprechende Personalressourcen für die Ermöglichung von inklusiven altersheterogenen Lerngruppen in allen Bildungseinrichtungen
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