Wo keine Noten Freude und Lerneifer trüben
Wo rennen schon Kinder oder Jugendliche mit selbst gestalteten T-Shirts herum, auf denen ein großes rotes Herz prangt und der Schriftzug, dass sie ihre Schule lieben? Nun, Freitagnachmittag war dies im 20. Bezirk von Wien nahe der Millennium-City zu erleben. Rosalie und Elena tanzten neben der Bühne in solchen T-Shirts an. „Wir treten dann später gemeinsam mit anderen auf der Bühne auf und tanzen“, erzählen sie dem Kinder-KURIER.
Ein-, Über- und Aus-Gang
Zu diesem Zeitpunkt trommelt gerade eine andere Gruppe - die Auftaktnummer für das 20-Jahrfest der ILB, der „Integrative Lernwerkstatt Brigittenau“. Dabei handelt es sich um eine öffentliche Ganztagsschule, mit altersgemischten, inklusiven Lerngruppen für 6- bis 15-Jährige, also von der 1. bis zur 8. Schulstufe: Eingang/Übergang/Ausgang heißen die Mehrstufengruppen. Und bis zur 7. Schulstufe gibt’s keine Noten. Und weil im Vorjahr der Schulversuch - erstmals für mehrere Jahre - bis 2024/25 verlängert wurde, dürfen auch weiterhin Kinder und Jugendliche ihre Leistung erbringen, weil sie die Lerngegenstände interessieren und nicht Bulimie-Strebern für Noten, um danach wieder ohnehin (fast) alles zu vergessen.
Fotos vom Pressegespräch
Jüngster Start-Up-Gründer
Weil es immer wieder die Sorge - vor allem von Eltern und anderen - gibt, ohne den eben erwähnten Druck würden Kinder und/oder Jugendliche nichts lernen, kamen zum Pressegespräch anlässlich des Jubiläums ehemalige Schüler_innen, um ihre Erfolgsgeschichten zu schildern. Moritz Lechner konnte kürzlich bei „2 Minuten - 2 Millionen“ Kohle für sein Start-Up-Unternehmen FreebieBox bekommen. Der Typ ist 15! Und hat vier Beschäftigte. „Hier hab ich gelernt, selbstständig und vor allem gemeinsam mit anderen Leuten zu arbeiten“, fasst er zusammen, wie diese Schule zu seinem Weg beigetragen hat.
Maschinenbau
Sonnja ist Maschinenbau-lehrling bei der ÖBB und führt ihre Berufsentscheidung darauf zurück, „dass wir alle schon ab dem ersten Schuljahr sowohl technisches als auch textiles Werken hatten und so mein technisches Interesse gefördert wurde.“
Fanny, die zu ihrer Zeit nach der Volksschule in andere Schulen musste, weil die ILB damals noch um die Mittelstufe kämpfen musste. „Da war aber nicht viel mit Inklusion“ erzählt die junge Frau. Zum Glück war die ILB mit ihrem Kampf noch während der Pflichtschulzeit Fannys erfolgreich und sie konnte freudig zurückkehren. Nach der Schulzeit war Fanny in verschiedenen Projekten, unter anderem der Inklusiven LehrRedaktion beim KURIER tätig und arbeitet nun in einem Langzeitpraktikum im Evangelischen Gymnasium in Wien. „In der Schulbibliothek ordne ich die Bücher und auch in anderen Bereichen der Schule kann ich Büroarbeiten machen“, beschreibt sie ihre Aufgabenbereiche.
Woanders Zuckerl, hier Alltag
Samira studiert Soziologie und wunderte sich in ihrer Oberstufenzeit in einem Gymnasium, dass „Kommunikation und Sozialkompetenz“ von Mitschüler_innen als so außergewöhnlich betrachtet worden ist, „das war hier in der ILB normaler Alltag“.
Ein zweiter Moritz spielt Schlagzeug und Gitarre in zwei verschiedenen inklusiven Bands und Julia steht knapp vor ihrer Matura. So wie Samira war für sie Notendruck und Lernen für Prüfungen und nicht aus Interesse an der Sache mit dem Wechsel in weiterführende Schulen neu, irgendwie grenzwertig. Aber die starke Persönlichkeit, die sie in ihren ersten acht Schuljahren entwickeln konnten und dabei gefördert worden waren, ließ und lässt sie auch das überstehen ;)
Übrigens: Moritz Lechner ist nicht der einzige, der ein Unternehmen gegründet hat. Abdul, der beim Pressegespräch keine Zeit hatte, hat eine Reinigungsfirma gegründet - mit mittlerweile rund 100 Beschäftigten.
Auszug zum Fest
Partnerschaftlich
Elisabeth Fröhlich, Elternvertreterin, freut sich bei dem Pressegespräch über die partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Beteiligten - Schüler_innen, Lernbegleiter_innen - wie sich Lehrkräfte hier nicht nur nennen, sondern vor allem verstehen -, Direktion und Eltern. Und nicht zuletzt darüber, dass Eltern von Schüler_innen der ILB zu Hause nicht den Notendruck_Stress anderer Schulen kennen.
Bunt in und vor der Schule
Was geht, wenn wer will
Die 20-Jahr-Feier fällt übrigens zusammen mit der Pensionierung des bisherigen Direktors und Gründers, Josef Reichmayr. Er - und seine - im Laufe der Jahre immer größer gewordene Schar der Mitstreiter_innen - zeigt übrigens, was auch unter den herrschenden Rahmenbedingungen möglich ist. Denn, so SchulQualitätsManager (vormals Bezirksschulinspektor) Patrick Wolf von der Bildungsdirektion (vormals Stadtschulrat), merkte an: Dies ist eine öffentliche Regelschule, das Team hier hat nur alle möglichen Grenzen ausgereizt! ;)
Apropos Grenzen: Grenzüberschreitend war auch Gabriele Münzberg vom Berliner Bildungssenat am Geburtstag in Wien - zwischen der ILB und einer Schule in Pankow gibt es schon seit Jahren einen fruchtbaren Austausch.
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