Worunter Migräne-Patienten ganz besonders leiden
Migräne steht heuer im Mittelpunkt des "World Brain Day", des Welt-Gehirn-Tages, am heutigen Montag. Obwohl eine von sieben Personen darunter leidet, wird Migräne oft unterschätzt, häufig nicht erkannt und zu selten kompetent behandelt, kritisiert die Welt-Föderation der Neurologen, die World Federation of Neurology (WFN). Sie fordert daher unter dem Motto "Schmerzhafte Wahrheit“ mehr Aufmerksamkeit für die Probleme, das individuelle Leid und die volkswirtschaftlichen Kosten, die auf das Konto von Migräne gehen.
Die WFN lädt Migränepatienten weltweit ein, in den Sozialen Medien unter den Hashtags #worldbrainday und #thepainfultruth ihre Erfahrungen zu teilen und Migräne sichtbar zu machen.
Die Migräne ist die weltweit häufigsten Erkrankung des Gehirns, die die Lebensqualität vieler Menschen empfindlich beeinträchtigt. "Wir arbeiten mit unseren 120 Mitgliedsländern weltweit zusammen, um gegen die Stigmatisierung von Migränepatienten anzukämpfen, die Behandlung zu verbessern und mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, welche enormen indirekten Kosten durch Migräne entstehen”, sagt der Wiener Neurologe und WFN-Generalsekretär Wolfgang Grisold.
"Wenn Migränepatienten keine Attacken haben, wirken sie völlig gesund. Bei einem schweren Migräneanfall können aber die Beschwerden so heftig ausfallen, dass die Betroffenen kaum denken, geschweige denn arbeiten können.” Dies werde vom privaten und beruflichen Umfeld Betroffener oft nicht ernst genommen, ebenso wenig würden die Folgekosten angemessen berücksichtigt.
Erhöhtes Risiko für andere Krankheiten
Ein Mensch von sieben leidet unter Migräne, insgesamt mehr als eine Milliarde. Migräne steht nach WHO-Angaben an sechster Stelle der am schwersten behindernden Erkrankungen. "In Österreich leiden rund 17 Prozent der Frauen und sechs Prozent der Männer an Migräne unterschiedlicher Ausprägung”, so Eugen Trinka (Christian Doppler Universitätskliniken, Salzburg), Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN).
Migräne ist mit schweren, zumeist einseitigen Kopfschmerzen, Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schlafproblemen, Schwindelanfällen sowie erhöhter Empfindlichkeit auf Licht, Geräusche und Berührungen verbunden. "Zudem weiß man, dass Migränepatienten ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzerkrankungen, Epilepsie, Depression sowie für chronische Schmerzen haben.”
Nicht nur für die Betroffenen selbst hat die Krankheit einen hohen Preis. Eine Studie hat ermittelt, dass die jährlichen Kosten für die Migränebehandlung in Europa mit rund 4,1 Mrd. Euro pro Jahr zwar relativ gering sind, die durch die Erkrankung bedingten Arbeitsausfälle jedoch Kosten von 18,4 Mrd. verursachen. Das lässt den Schluss zu, dass ein Großteil der Patienten nicht oder nur ungenügend behandelt wird.
Neue Medikamente
In der Therapie gelang vor rund dreißig Jahren mit der Einführung der Triptane ein großer Sprung vorwärts, betonen die Neurologen. Eine neue Entwicklung ist, dass seit den letzten Jahren Antikörper zur Blockade eines speziellen Rezeptors zur Verfügung stehen, der eine wesentliche Rolle bei der Migräne-Entstehung spielt.
Diese Medikamente kommen vor allem für jene Migränepatienten infrage, die drei oder mehr Kopfschmerzattacken pro Monat haben. Für die Prophylaxe eingesetzt, ermöglichen sie den Patienten mehr migränefreie Tage. Weitere derartige Antikörper-Medikamente sind zurzeit in Entwicklung.
"In Österreich ist die medikamentöse Therapie zur Prophylaxe und Behandlung akuter Attacken auf einem hohen Level und von Migräne Betroffenen könnte sehr gut geholfen werden“, sagt Prof. Trinka. "Allerdings wird hierzulande Migräne zu wenig erkannt, ist unterdiagnostiziert und wird zu selten richtig behandelt.“
Nur wenige gehen zum Facharzt
Das liegt zum Teil auch am fehlenden Bewusstsein mancher Betroffener, wie ihnen wirksam geholfen werden könnte. "Manche Migränepatienten glauben, dass sie ihre Attacken durch die Einnahme eines Schmerzmittels selbst behandeln können, andere meinen, die Migräne sei rein psychisch bedingt“, sagt die Neurologin Karin Zebenholzer (MedUni Wien). "Es gibt bei Migräne zwar auch eine psychische Komponente, aber es handelt sich um eine neurologische Erkrankung. Diese sollte von Fachärzten für Neurologie mit genau den Medikamenten behandelt werden, die für die jeweilige Migräneform am besten geeignet ist.“
Allerdings zeigt eine Studie von Zebenholzer, dass in Österreich nur sechs Prozent der Betroffenen Triptane zur Akutbehandlung erhalten. Nur 17,5 Prozent der Migränepatienten finden den Weg zu einem Facharzt für Neurologie. Um die Versorgung zu verbessern, bedarf es daher eines abgestuften und koordinierten Zusammenspiels von Hausärzten, niedergelassenen Neurologen und spezialisierten Migränezentren. "Wir bilden praktische Ärzte hinsichtlich der Diagnose der Migräne fort”, sagt Zebenholzer.
Bei Migräne und Kopfschmerz gibt es nach wie vor offene Fragen. „Der Pathomechanismus (Entstehungsmechanismus, Anm.) der Migräne ist nicht vollständig erforscht. Wir wissen nicht, warum es zur Depolarisation und Aktivierung des Schmerzsystems kommt“, so Prof. Zebenholzer.
Damit die Betroffenen mit ihrer Erkrankung richtig umgehen können, sind auch Aufklärung, das Patienten-Empowerment und die Vernetzung in Selbsthilfegruppen sehr wichtig.
Zu wenig Mittel für Forschung
"Trotz der weltweiten Verbreitung und der hohen volkswirtschaftlichen Kosten von Migräne wird in die Migräneforschung viel zu wenig investiert“, sagt Grisold. „Ein gesteigertes Bewusstsein der Allgemeinheit für die Probleme, die Migräne verursacht, hilft der Scientific Community, sich effektiver für die Bedürfnise der großen Zahl von Migränepatienten einzusetzen.”
SERVICE: Am 22. Juli gibt es von 16 bis 17 Uhr ein Webinar zum Thema Migräne. Migräneexperten und Patientenvertreter aus aller Welt werden von den neuesten Erkenntnissen berichten, Fragen zur Migräne beantworten sowie Strategien zur effektiven Behandlung darlegen.
Anmeldungen unter: https://register.gotowebinar.com/register/4427363188472679693
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