Neue Therapie gegen Migräne: Was Experten dazu sagen

Frauen sind von den Schmerzattacken drei Mal so häufig betroffen wie Männer.
Seit September ist das erste Medikament einer neuer Wirkstoffklasse erhältlich. Wie Experten urteilen.

"Viele der Migränepatienten, die zu mir kommen, haben schon eine Reihe an Therapien ausprobiert. Aber es gibt immer noch Möglichkeiten, ihnen zu helfen." Marion Vigl, niedergelassene Neurologin in Wien, hat Erfahrung in der Therapie der anfallsartig auftretenden Kopfschmerzen, von denen jeder Zehnte betroffen ist – Frauen drei Mal so häufig wie Männer. "Migräne ist unterdiagnostiziert und untertherapiert – nur jeder Dritte weiß, dass er an dieser Erkrankung leidet."

Für eine Migräne-Diagnose müssen mindestens zwei von vier Kriterien erfüllt sein:halbseitiger Schmerz; mittelschwerer bis starker Schmerz; pulsierender Schmerz; Zunahme bei körperlicher Anstrengung. Diese Symptome müssen von Übelkeit/Erbrechen und/oder Licht- und Geräuschempfindlichkeit begleitet sein.

Attacken vorbeugen

Ausdauersport, Akupunktur, Entspannungstechniken, regelmäßiger Lebensstil, Stressmanagement: Das kann in gewissem Ausmaß Attacken vorbeugen. "Auch Mutterkraut, Pestwurz, Magnesium, Vitamin B12 und Coenzym Q10 helfen vorbeugend einem Teil der Patienten. Bei häufigen oder besonders schweren und langen Attacken sollte man aber auch eine medikamentöse Prophylaxe überlegen." Bisher gab es dafür nur Medikamente, die für andere Erkrankungen entwickelt wurden: Etwa Betablocker, Mittel gegen Epilepsie oder Depressionen. "Sie wirken erst nach sechs bis acht Wochen und haben bei einem Teil der Patienten starke Nebenwirkungen. 40 Prozent brechen deshalb diese Therapien ab." Dann bleibt mit konventionellen Schmerzmitteln und Triptanen nur die Akuttherapie bei einer Attacke .

Seit 1. September ist in Österreich das erste Medikament einer neuen Wirkstoffklasse zur Migräne-Vorbeugung verfügbar (chefarztpflichtig), weitere werden folgen: Dabei handelt es sich um Antikörper, die die Wirkung eines Botenstoffes (CGRP) blockieren. "Dieser spielt bei der Entstehung von Migräneattacken eine entscheidende Rolle", sagt Christian Wöber, Kopfschmerzexperte der MedUni Wien am AKH Wien. "In den Studien mit dem bereits zugelassenen Antikörper Erenumab konnte bei 50 Prozent der damit behandelten Patienten die Zahl der Migränetage halbiert werden." Das sei vergleichbar mit bisherigen Prophylaxe-Medikamenten –– aber mit dem Vorteil, dass der Antikörper nur einmal alle vier Wochen mit Pen selbst injiziert wird.

"Weil der Botenstoff CGRP auch die Blutgefäße erweitert, müssen Menschen mit Durchblutungsstörung vorsichtig sein", betont Wöber. Generell werden die neuen Präparate gut vertragen, Langzeitdaten fehlen aber noch. Die CGRP-Antikörper können erst verschrieben werden, wenn andere Medikamente nicht gewirkt haben oder nicht vertragen wurden.

Betroffenenbericht: "Migräne nicht hilflos ausgeliefert"

Ihren ersten Migräneanfall hatte sie im Alter von drei Jahren: "Mir war übel und ich habe erbrochen –  aber die Diagnose ' Migräne mit Aura' bekam ich erst 15 Jahre später", erinnert sich die Dipl. Lebensberaterin Ulrike Grabmair . "Migräne wird im privaten und auch beruflichen Bereich oft verharmlost. Da hören Betroffene dann 'Stell' dich nicht so an' oder 'Kopfschmerzen hat doch jeder einmal'." Hinzu kommt die Scham vor dem Ausfallen, die Angst, dass man anderen zur Last fällt und sie enttäuscht, weil man etwa am Wochenendprogramm der Familie nicht teilnehmen kann. "Es ist nicht nur die Angst vor der nächsten Attacke, es ist auch die Angst vor dem Versagen – und beides führt zu einem permanenten Stress- und Druckkreislauf."

Früher habe sie bei den geringsten Anzeichen von Kopfschmerz immer sofort die Migränemedikamente für die Akuttherapie (Triptane) eingenommen, "nur um zu funktionieren und mein hohes Arbeitspensum durchzuhalten – ohne wahrzunehmen, was der Körper wirklich braucht und etwas am Lebensstil zu ändern".

Neue Therapie gegen Migräne: Was Experten dazu sagen

Ulrike Grabmair: "Migräne ist Warnzeichen vor Überlastung"

Dabei sei eine Migräneattacke oft  ein Warnzeichen des Körpers vor Überlastung: "Heute weiß ich, dass ich mit mentalen Techniken, etwa Atem- oder  Entspannungsübungen, die Häufigkeit und  Intensität meiner Attacken reduzieren kann und die Medikamente nicht so häufig benötige." Das Wichtigste sei für sie gewesen zu akzeptieren, "dass ich Migräne habe – und nicht versuche, ständig dagegen anzukämpfen".

Grabmair absolvierte eine Ausbildung zum Mentalcoach und bietet heute in ihrem Unternehmen "KOPFGEWITTER" Mentalcoaching und Migränebegleitung an (www.kopfgewitter.at). "Das ist eine optimale Ergänzung zu Neurologen: Es geht um eine nachhaltige Änderung bestimmter Verhaltensmuster, was Zeit benötigt. Der erste Schritt  für Betroffene ist zu lernen, dass sie selbst aktiv werden können und der Migräne nicht ausgeliefert sind."

GESUNDHEITSTALK MIGRÄNE

"Migräne – Gewitter im Kopf" ist das Thema des Gesundheitstalks von KURIER, MedUni Wien und Novartis am Mittwoch, 17.10., 18.30 Uhr. Am Podium sind die Neurologen Marion Vigl und  Christian Wöber (MedUni Wien) sowie Ulrike Grabmair.

Moderation: Gabriele Kuhn.

Veranstaltungsort: Van-Swieten-Saal der MedUni Wien, Van-Swieten-Gasse 1a (Ecke Währinger Straße), 1090 Wien.

Freier Eintritt.

Kommentare