Bewegung im Gehirn
Im Gegenteil. In Studien konnte die US-amerikanische Neuropsychologin Brenda Hanna-Pladdy von der Emory University zeigen, dass Musiker, die zehn oder mehr Jahre musiziert hatten, die besten Ergebnisse in den Bereichen nonverbales und visuell-räumliches Gedächtnis erzielten. Auch das Benennen von Gegenständen sowie die Aufnahme und Verarbeitung neuer Informationen fiel Musikern im Vergleich zu Menschen ohne Musikerziehung leichter. Spannend: Die Musiker büßten den kognitiven Bonus nicht ein, wenn sie jahrzehntelang kein Instrument gespielt hatten.
So war es auch bei Dieter Pichler: Nach dem Umzug nach Wien und dem Abschluss des Studiums gab er das Musizieren auf. "Irgendwann war keine Zeit mehr dafür, und ein wenig hat mich auch die Konkurrenz mit meinem Bruder, der wahnsinnig begabt ist, frustriert", erinnert sich der 54-Jährige. Als ihm seine Schwiegermutter ein altes Klavier schenkte, "habe ich plötzlich wieder Lust verspürt, zu spielen". Den in die Jahre gekommenen Flügel ließ der Geschäftsmann restaurieren. Er selbst begann, das einst Erlernte wiederzubeleben. Von seinem Bruder bekam er den Rat, sich Unterstützung von einem Profi zu holen. So kam es, dass sich die Wege von Dieter Pichler und Ulrike Anderwald kreuzten.
Selbst wenn man erst später im Leben ein Instrument erlernt, ergeben sich förderliche Effekte. Die Musikwissenschafterin Jennifer Bugos von der University of South Florida untersuchte die Auswirkungen von Klavierunterricht auf Erwachsene zwischen 60 und 85 Jahren. Die Teilnehmer profitieren innerhalb weniger Monate – etwa bei der Gedächtnisleistung, Wortfindung und Informationsverarbeitung.
Generationenspiel
Heute gehen dem 54-Jährigen Beethovens Bagatellen leicht von der Hand. Doch das ist nicht alles. "Beim Musizieren geht es für mich viel um Emotion. Dadurch, dass ich fast täglich übe, beschäftige ich mich intensiver mit meinen Gefühlen und bemühe mich, sie im Alltag besser wahrzunehmen." Die Frustration und das Gefühl, üben zu müssen, das er aus Kindertagen kannte, sind "wie weggeblasen". "Die Fehler, die ich damals gemacht habe, halten sich aber hartnäckig", sagt er. "Der Rhythmus ist meine Schwäche geblieben."
Mit seiner neuen, alten Leidenschaft hat er seine Kinder angesteckt. "Der Jüngste macht es mit Begeisterung, da hat sich sogar ein kleiner Wettbewerb zwischen uns entwickelt", sagt der dreifache Vater. Bei seinem Sohn beobachtet er, "dass er sehr schnell Fortschritte macht, wenn er es will". "Allerdings spielt er auch öfter schlampig und nimmt das, was der Lehrer sagt, nicht so genau. Ich bin da disziplinierter", sagt der 54-Jährige und lacht.
Auch Ulrike Anderwald beobachtet Unterschiede zwischen ihren jüngeren und älteren Schützlingen: "Erwachsene wissen ganz genau, was sie wollen, das ist ein Vorteil im Lernprozess. Dafür lernen Kinder spielerischer, schauen sich vieles schneller ab und agieren allgemein unbekümmerter, intuitiver und spontaner."
Dieter Pichlers Traum: "Irgendwann möchte ich vierhändig spielen können, mit einem Partner am Klavier. Das ist für ein Soloinstrument etwas Besonderes – und mein großes Ziel."
Kommentare