Natürliche Geburt: Das gute Bakterienbad fürs Baby?
Babys, die per Kaiserschnitt auf die Welt kommen, verfügen über andere Darmbakterien als Säuglinge, die auf natürlichem Weg geboren werden – also den Geburtskanal passieren und damit zuerst mit mütterlichen Bakterien – und nicht mit Keimen auf der Haut der Mutter und jener des medizinischen Personals – in Berührung kommen. Das konnten Forscher nun in einer Studie nachweisen.
Die Erkenntnis könnte Aufschluss darüber geben, warum Kaiserschnittbabys im Kindesalter und im späteren Leben ein höheres Erkrankungsrisiko haben. Der neue Erklärungsansatz geht auf Forschungen britischer Wissenschafter zurück, die die bisher größte Feldstudie dazu im Fachblatt Nature veröffentlicht haben.
Demnach wird der Darm von Säuglingen unmittelbar nach einer natürlichen Geburt mit Mikroorganismen der Mutter, aber auch mit Mikroben aus der Umgebung, besiedelt. Ein Prozess, der folglich auch Einfluss auf das Immunsystem des Kindes hat.
Im Zuge der Studie des Genomforschungsinstitutes Wellcome Trust Sanger Institute, des University College London und der University of Birmingham wurde erhoben, wie sich das Mikrobiom (Gesamtheit aller Mikroorganismen in und auf dem menschlichen Körper, vor allem im Darm) bei Neugeborenen entwickelt, wenn sie die sterile Umgebung des Uterus der Mutter verlassen und in eine Atmosphäre voller Bakterien eintreten.
Stuhlproben von 600 Babys
Dafür untersuchten die Forscher Stuhlproben von knapp 600 Babys. Die Analyse der Windelrückstände ergab, dass Babys, die auf natürlichem Weg geboren wurden, den Großteil ihrer Darmbakterien von der Mutter erwarben. Kaiserschnittkinder wiesen hingegen nicht nur eine verminderte Zahl von "guten" mütterlichen Bakterien, sondern auch eine vermehrte Besiedlung mit sogenannten Krankenhauskeimen, darunter die Arten Pseudomonas und Klebsiella, auf. Der Effekt verflüchtigte sich bis zum vollendeten ersten Lebensjahr der Säuglinge fast vollständig.
Der an der Studie beteiligte Trevor Lawley vom Wellcome Trust Sanger Institute sagte dazu der BBC: "Was mich überrascht und erschreckt hat, war die Zahl der Krankenhauskeime, die bei diesen Kindern (Kaiserschnittkinder, Anm.) auftauchten." Sie hätten bis zu 30 Prozent ihres gesamten Mikrobioms ausgemacht, berichtete Lawley. Laut Lawley positiv: "Wir besitzen jetzt eine erstaunliche Menge an Daten, auf die wir aufbauen können, um darüber nachzudenken, wie wir das menschliche Ökosystem von Geburt an richtig aufbauen können."
Bronchitis bis ADHS
Dass per Kaiserschnitt geborene Kinder ein höheres Erkrankungsrisiko haben, wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach belegt. Eine erst kürzlich von der deutschen Techniker Krankenkasse veröffentlichte Erhebung zeigt, dass Kaiserschnittkinder beispielsweise anfälliger für chronische Bronchitis oder Aufmerksamkeitsstörungen sind. Demnach ist für diese Kinder das Risiko für eine chronische Bronchitis in den ersten acht Lebensjahren um fast zehn Prozent erhöht. Das Risiko für leichte und mittlere Entwicklungsstörungen ist um neun Prozent erhöht, das Risiko für die sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) um 16 Prozent höher.
Der Report zeigte ebenfalls Auffälligkeiten bei Ernährungsproblemen, wo das Risiko nach Kaiserschnittgeburten um elf Prozent höher liegt. Das Risiko für Magen-Darm-Erkrankungen ist demnach um sieben Prozent höher und für Adipositas um 36 Prozent.
Für viele dieser Erkrankungen könnte Experten zufolge eine fehlgeleitete Immunabwehr verantwortlich sein. Denn jene Mikroorganismen, die den menschlichen Körper unmittelbar nach der Geburt besiedeln, gelten als entscheidend für den Aufbau eines gesunden, stabilen Immunsystems, das gute von bösen Keimen unterscheiden kann. "Die Annahme ist, dass der Moment der Geburt eine Art ‚Thermostat‘-Moment sein könnte, der das Immunsystem für das zukünftige Leben einstellt", erklärte der ebenfalls an der Erhebung beteiligte Forscher Nigel Field vom University College London der BBC.
Geplant ist, dass das "Baby-Biom-Projekt", so der Name der Langzeiterhebung, die bereits untersuchten Babys weiter bis in die spätere Kindheit begleitet.
Vaginalkeime "säen"
Im Zuge der Debatte über das Immunsystem neugeborener Kinder wird in Fachkreisen auch "Vaginal Seeding" diskutiert. Vaginal Seeding (zu Deutsch: "Säen von Vaginalkeimen"), so nennt man es, wenn ein neugeborenes Baby nach einem Kaiserschnitt mit der Vaginalflüssigkeit der Mutter benetzt wird. Dabei wird ein Tupfer in der Scheide der Mutter platziert und mit Vaginalflüssigkeit befeuchtet. Dann wird das Baby damit eingerieben.
Umstritten ist, wie vorteilhaft diese Praktik für Neugeborene tatsächlich ist. Das Gros der Experten warnt jedenfalls vor vorschnellem Handeln. So könnten durch Vaginal Seeding auch gefährliche Keime auf das Baby übertragen werden.
Kaiserschnittrate in Österreich
Deutschland lag 2017 mit einer Kaiserschnittrate von 30,5 Prozent aller Klinikentbindungen über dem westeuropäischen Durchschnitt von 27 Prozent. Auch Österreich befand sich 2018 laut Daten der Statistik Austria mit knapp 30 Prozent im oberen Bereich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass im Schnitt nur bei zehn bis 15 Prozent der Geburten ein Kaiserschnitt unbedingt medizinisch erforderlich ist.
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