Neues Kniegelenk: Wird in Österreich zu häufig operiert?

Neues Kniegelenk: Wird in Österreich zu häufig operiert?
Vor dem Eingriff werden nicht immer alle Möglichkeiten genügend ausgeschöpft, kritisieren Experten.

36.000 Menschen erhalten hierzulande jährlich ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk. Österreich liegt bei der Operationshäufigkeit im Spitzenbereich unter den Industriestaaten (siehe Grafik weiter unten). Die Uni-Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der MedUni Wien organisiert am 13. 6. eine Info-Veranstaltung für Patienten (siehe ganz unten). Ein Thema: „Wird zu schnell operiert?“ Der KURIER sprach mit Klinikleiter und Leiter des Endoprothetikzentrums für Hüft- und Kniegelenksersatz Reinhard Windhager und Zentrumskoordinator Bernd Kubista.

Neues Kniegelenk: Wird in Österreich zu häufig operiert?

Reinhard Windhager leitet die Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie von MedUni Wien / AKH Wien sowie auch das Endoprothetikzentrum der Klinik.

KURIER: Werden Knie- und Hüftgelenksoperationen zu häufig durchgeführt?

Bernd Kubista: Mein Eindruck ist, dass vor einem Eingriff alle nicht-operativen Maßnahmen nicht immer ausgeschöpft werden. Die Indikation, die Gründe für die Durchführung einer Operation, sollten genau abgeklärt werden. Künstliche Kniegelenke werden hierzulande im Verhältnis bereits häufiger implantiert als in Deutschland. Trotz vieler Verbesserungen bezüglich der Implantate und Operationstechniken sind nicht alle Patienten mit dem OP-Ergebnis zufrieden. Das betrifft vor allem 10 bis 15 Prozent nach der Implantation eines künstlichen Kniegelenks. Bei Hüftgelenksoperationen ist die Patientenzufriedenheit deutlich höher.

Neues Kniegelenk: Wird in Österreich zu häufig operiert?

Bernd Kubista ist Koordinator des Endoprothetikzentrums für Hüft- und Kniegelenksersatz von MedUni / AKH Wien.

Warum ist die Unzufriedenheit nach Kniegelenksersatz so hoch?

Reinhard Windhager: Einerseits liegt das an einer unrealistischen Erwartungshaltung und einer vielleicht nicht immer durchgeführten ausführlichen Aufklärung über das zu erwartende Ergebnis. Der Orthopäde muss den Patienten sagen, dass er eine völlige Beschwerdefreiheit nicht hundertprozentig garantieren kann. Die Hersteller haben die Implantate in den letzten Jahren laufend weiterentwickelt. Deutlich verbessert hat sich dadurch deren Haltbarkeit – wir gehen heute vielfach von lebenslanger Haltbarkeit aus.

Dennoch können Weichteile wie Muskeln und Sehnen auch nach der Operation weiter Schmerzen verursachen. Wenn dann die Beeinträchtigungen vor der OP vielleicht gar nicht so stark waren, ist der Patient enttäuscht, wenn sich sein neues Knie nicht so natürlich anfühlt wie das eigene und Restbeschwerden wie etwa ein Spannungsgefühl vorhanden sind. Ein Kunstgelenk ist ein Kunstgelenk und nie so gut wie das Original, das man mit 18 Jahren hatte.

Neues Kniegelenk: Wird in Österreich zu häufig operiert?

Aber was ist eine realistische Erwartungshaltung?

Kubista: Dass körperliche Einschränkungen, die man im Alltag hatte, nachher geringer sind, also man z. B. wieder leichter Stiegen steigen und auch wieder Dinge machen kann, die vorher nicht mehr möglich waren. Und natürlich, dass der Schmerz geringer ist. Aber man sollte sich nicht hundertprozentige Schmerzfreiheit erwarten und auch nicht, dass man jede Sportart nachher uneingeschränkt ausüben kann. Es gibt Menschen, die können nach einer Kniegelenksersatzoperation wieder schmerzfrei Marathon laufen und Fallschirmspringen. Aber eben nicht jeder. Das muss ein Arzt auch sagen.

Wann sollte ein künstliches Kniegelenk eingesetzt werden?

Windhager: Wenn trotz aller nicht-operativen Maßnahmen – wie etwa Physiotherapie, Gewichtsabnahme bei Übergewicht, medikamentöser Therapie – deutlich beeinträchtigende Schmerzen länger als drei Monate lang anhalten. Auch eine verminderte Gehleistung von unter einer Stunde ist ein Kriterium. Man sollte allerdings heute nicht mehr so lange warten bis auch in Ruhe und in der Nacht Schmerzen auftreten. Und die Bildgebung allein ist auch nicht entscheidend: Es gibt Patienten, bei denen man im Röntgen eine starke Arthrose mit massiven Abnützungserscheinungen sieht, die kaum Beschwerden haben. Und es gibt Patienten mit minimalen Veränderungen im Röntgenbild und massiven Beschwerden.

Welche Rolle spielt die Erfahrung des Chirurgen?

Windhager: Viele Studien zeigen, dass die Komplikationsrate in zertifizierten Endoprothetik-Zentren mit hohen Fallzahlen geringer ist. An solchen – wie etwa bei uns am AKH – muss jeder Operateur mindestens 50 Knie- oder Hüftprothesen jährlich implantieren – damit ist ausreichende Routine gewährleistet. Sämtliche Qualitätsindikatoren wie etwa die Infektionsrate, oder das Auftreten von Komplikationen werden erfasst und jährlich durch internationale Fachexperten überprüft.

Bringen individuelle, mit 3-D-Computertechnologie auf die eigene Anatomie angefertigte Prothesen Vorteile?

Kubista: Die Industrie bringt immer neue Herstellungs-und Operationsverfahren auf den Markt. Bis jetzt sehen wir aber bei den Ergebnissen und bei der langfristigen Patientenzufriedenheit keine Unterschiede im Vergleich zu Implantaten „von der Stange“. Bei Hüftimplantaten sind durch minimalinvasive Zugangswege mit schonender Behandlung von Muskeln und Sehen sowie durch neue Implantate die Schmerzen nach der OP deutlich geringer als früher und die Patienten sind auch viel rascher wieder mobil.

Informationen zur Patienten-Veranstaltung

Knie- und Hüftgelenksersatz Eine große Info-Veranstaltung mit Experten-Vorträgen zum Thema „Knie- und Hüftgelenksersatz: Probleme vermeiden, erkennen, behandeln“ organisiert die Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Donnerstag, 13. Juni. Das detaillierte Programm finden Sie hier.

Zeit, Ort, Anmeldung 15.30 bis 19.00 Uhr, Van Swieten Saal der MedUni Wien, Van-Swieten-Gasse 1a, 1090 Wien. Eintritt frei.

Anmeldung unter Telefon 01 / 40400 / 40780 oder alexandra.mayr@meduniwien.ac.at

 

 

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